Schinken war eine Rarität

TRIER. (red) Nach der erfolgreichen Serie, in der Zeitzeugen aus der Region Trier von den letzten Kriegsmonaten berichteten, hat der Trierische Volksfreund eine Neuauflage gestartet. Im Mittelpunkt stehen die Wirtschaftswunder-Jahre. Heute ein Bericht von Christel Damrow-Carpagne.

Der Zweite Weltkrieg war zu Ende. Mein Großvater hatte sechs Söhne, davon sind drei nach dem Kriege zurückgekehrt, darunter war auch mein Vater. Dessen Vater, Opa Pittchen, wollte sein Baugeschäft weiterführen mit seinen Söhnen, er war Geschäftsinhaber und Maurermeister, Onkel Martin war Maurerpolier, Onkel Wendel und mein Vater Walter beide Maurer. Mein Vater musste zwei Berufe ausüben, nämlich Kraftfahrer und Maurer, das war nicht leicht, es gab ja noch keine Maschinen. Es mussten ja auch fünf Kinder mit Frau ernährt werden. Aber das Baugeschäft in der Maarstraße funktionierte, es gab viel zu tun, und vor allem musste überall neu gebaut und teilweise renoviert werden. Die Häuser waren teilweise zerstört. Von den Lehrjungen, die aus den umliegenden Dörfern kamen, bekamen wir oftmals ein Stück von ihrem Schinkenbrot - Schinken war eine Rarität. Meine Mutter half trotz ihres großen Haushaltes auch noch mit in Omas Haus. Die Oma machte auch fürs Baugeschäft die Buchhaltung und Lohnauszahlung. Nebenbei strickte sie für ihre Söhne Wollstrümpfe. Wir hatten kein Wohnzimmer, aber eine schöne gemütliche Wohnküche mit Küchenherd, darauf stand ein Messingwasserschiffchen, das immer glänzte. Dann wurde erst mal ein Gasherd angeschafft. Die nächste Anschaffung war ein Bügeleisen, vorher hatte man ein schweres Eisen auf den Küchenherd gestellt, um zu bügeln. Ich kann mich noch daran erinnern, dass im Winter Mutti das warme Bügeleisen ins Handtuch eingewickelt hatte und kurz in unsere Betten legte, damit wir warme Füße hatten. Das Schlafzimmer war sehr kalt und hatte im Winter Eisblumen an den Fenstern. Im Keller wurde alles kühl gelagert, bis wir einen Kühlschrank bekamen. Am großen Waschtag war Mutter fast den ganzen Tag mit der Wäsche beschäftigt. Ich vergesse nie, wie glücklich sie war, als Papa mit einer halbautomatischen Waschmaschine mit Wringvorrichtung ankam, da hatte die Plackerei in der Waschküche ein Ende. Während der Fußball-Weltmeisterschaft 1954 haben wir mit über zehn Leuten am Radio gesessen, mitgezittert und gejubelt, als Deutschland Weltmeister wurde. Gefeiert wurde auch, und wir haben abends mit den Nachbarkindern und Nachbarn draußen gespielt und Schwätzchen gehalten. Ich habe auch mitgekriegt, das die Menschen viel mehr miteinander gesprochen haben und sich auch gegenseitig ausgeholfen haben. Als ich meine Lehrstelle in der Wolf-Apotheke antrat, ging es uns auch schon viel besser. Den ersten Fernseher bekamen wir, als ich schon 18 Jahre alt war. Wir Mädchen waren gar nicht so verrückt darauf, weil wir dachten, wir dürften dann nicht mehr so oft ausgehen. Man war ja erst mit 21 Jahren großjährig, und was Vater sagte, war höchstes Gebot. Da der Opa keine Baumaschinen anschaffen wollte und der eine Onkel durch einen Unfall starb, beschloss mein Vater, sich selbstständig zu machen. Die Idee hatte er 1959: Aus unserem Hof wurde eine Gartenwirtschaft, wir drei älteren Mädchen halfen, und das Geschäft ging gut. Wir konnten uns von dem Trinkgeld die ersten Kleider selber kaufen und waren stolz darüber. So wurde später die Wohnung umgebaut und aufgestockt, sodass dann aus der alten Wohnung das Lokal und die Wirtschaft "Martinsklause" entstand, die es heute noch gibt. Christel Damrow-Carpagne (66) ist Arzthelferin aus Trier.

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