Toleranz und Verstehen

SCHWEICH. Die Schweicher Volkshochschule (VHS) veranstaltet bereits zum vierten Mal "Jüdische Tage" in der Schweicher Synagoge. Eröffnet wurden sie mit einem Vortrag des Historikers Arno Lustiger und einer Fotoausstellung von Alter Kacyzne über jüdisches Leben vor dem Holocaust sowie einem Klaviervortrag des Pianisten Siegfried Mauser.

"Das beste Mittel, sich kennen zu lernen, ist der Versuch, andere zu verstehen." Mit diesem Zitat von André Gide fasste Josef Peter Mertes, Präsident der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) in seiner Begrüßung den Grundgedanken der "Jüdischen Tage" in Schweich zusammen, die mit einem vielseitigen Programm Kenntnis vermitteln wollen vom Leben, das durch die jüdische Religion geprägt ist. Mertes sagte, er verstehe die Veranstaltungsreihe als Mahnung zu Toleranz und als Anstoß dafür, dass Geschehenes sich nicht wiederhole, denn: "Vielfach sind Unkenntnis und Intoleranz Grund für Missverständnisse und Ablehnung." Reservoir an Kreativität

Bereits am Eröffnungsabend gewannen die Besucher gleich auf dreierlei Weise Zugang zu Alltag, Kultur, aber auch den schrecklichen Erfahrungen jüdischer Mitbürger: verbal, visuell und musikalisch. Ein Vortrag des jüdischen Historikers und Holocaust-Überlebenden Arno Lustiger machte das "Reservoir an geistig-kultureller Kreativität" der Juden in Polen bis 1930 deutlich. Ihrem Wirken seien unzählige kulturelle Errungenschaften zu verdanken gewesen wie Schulen, Theater und Bibliotheken, Literatur, Presse, Musik und Kunst, von denen auch er als Gymnasiast profitiert habe. Doch es habe auch eine andere, einfache und alltägliche Welt gegeben. Die hat Alter Kacyzne (1885 bis 1941), Fotograf, Schriftsteller und Journalist in den Zwanzigerjahren im Auftrag einer New Yorker Zeitung fotografisch festgehalten. Die Bilder sollten nach Amerika ausgewanderten Juden eine Erinnerung an ihre Heimat sein. Heute sind - nach Ausstellungen in Frankfurt, München, Berlin und New York - 57 dieser Schwarz-Weiß-Fotos in der Schweicher Synagoge zu sehen. Sie wirken ergreifend, denn sie vermitteln fast eine intime Nähe zu Menschen, die wie zufällig in einer Situation ihres Alltags abgebildet sind. Es sind nicht allein visuelle Mittel wie das der Komposition, die berühren, sondern der Eindruck, auf Wurzeln gestoßen zu sein, die unseren nicht fern liegen. Ein ähnliches Leben könnten auch unsere Vorfahren geführt haben, ihre Gesichter könnten genauso davon gezeichnet gewesen sein. Und doch gibt es Unterschiede, die zum Verstehen einladen. Nachhaltig bewusst bleibt, dass diese Welt untergegangen ist durch einen Akt der Barbarei. Musik drückt das Entsetzen aus

Seinem Entsetzen darüber hat der Komponist Karl Amadeus Hartmann Ausdruck verliehen, der bei den Nazis als "entartet" galt. Die Beobachtung, wie KZ-Häftlinge aus Dachau an ihm vorbeigetrieben wurden, setzte er in eine Klaviersonate mit dem Titel "27. April 1945" um. Der Musikwissenschaftler Siegfried Mauser spielte das Werk aus vertonten Klagen, Schreien, Trauer, aber auch Hoffnung in Form hineingewobener Freiheitslieder und setzte einen die Eindrücke vertiefenden Schlusspunkt. Die nächste Veranstaltung der Reihe ist der Vortrag "Zocken für lau" über jiddisches Erbe in der deutschen Sprache, am Donnerstag, 29. September, um 17 Uhr. Die Fotoausstellung von Alter Kacyzne ist bis 16. Oktober dienstags bis donnerstags, 10 bis 12 Uhr, und 14 bis 16 Uhr, sowie Freitag bis Sonntag, 14 bis 17 Uhr, zu sehen. Informationen bei der VHS Schweich, Tel. 06502/2332, E-Mail: vhs-schweich@t-online.de.

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