Abschied vom Blitzableiter-Job

TRIER. "Büro Oberbürgermeister Schröer. Clemens." Wer häufig die Rathaus-Nummer 718-1000 anwählt, kennt dieses freundliche Melden am anderen Ende der Leitung. Ab morgen ist es Vergangenheit. Liesel Clemens (64), seit 20 Jahren die Vorzimmer-Dame Helmut Schröers, geht heute in Ruhestand.

"Ich könnte ein Buch schreiben über all das, was ich hier erlebt habe", sinniert Liesel Clemens. Aber keine Bange, Herr Schröer. Die Kollegin belässt es beim "könnte" und geht nicht unter die Schriftsteller. Selbst wenn sie es täte: Auf den OB lässt sie nichts kommen: "Er ist ein guter Chef und hat ein großes Herz. Ich kann mich nicht über ihn beklagen". Liesel Clemens muss es wissen. Seit fast 20 Jahren ist sie Helmut Schröers Vorzimmer-Dame. Als Chefsekretärin ist sie seit dessen Amtsantritt als Oberbürgermeister am 1. April 1989 im Einsatz - 17 lange Jahre. Eine Kontinuität, die sich Schröer schon vorher gewünscht, aber nicht bekommen hat. Zwischen 1977 und 1986 gaben sich seine Vorzimmerdamen die Klinke in die Hand. Drei gingen nacheinander in Mutterschutz. Personalchef Trampert wusste Rat. Er empfahl Schröer Liesel Clemens, die 1984 als Steno- und Phonotypistin im Rathaus angeheuert hatte. Die Berufs-Wiedereinsteigerin mit, wie sie selber sagt, "gelegentlichem Dickschädel", passte, wie Verwaltungs-Kollegen erwartungsfroh registrierten, auch vom Temperament gut zu ihrem "Hans Dampf in allen Gassen"-artigen Chef. Mehr Zeit für Flora und Elias

Liesel Clemens lacht: "Ja. Viele glauben, zwischen uns seien immer die Fetzen geflogen. Aber so wild war das nicht. Sicher, es gab die eine oder andere Meinungsverschiedenheit, weil er immer sehr viel verlangt und alles möglichst schon gestern erledigt wissen wollte. Aber das hat sich alles regeln lassen." Notfalls, indem Liesel Clemens die außer bei Besuch offen stehende Tür zum OB-Dienstzimmer "einfach mal zugemacht" habe. "Aber nicht zugeknallt. So etwas gehört sich nicht. Ich mag keine Unhöflichkeiten." Das, worüber die 64-Jährige "ein Buch schreiben könnte", hat auch wenig mit Schröer, dafür aber um so mehr mit dem zu tun, was sich tagtäglich vor ihrem Schreibtisch abspielte. Im OB-Vorzimmer geht es gelegentlich ganz schön hoch her. Für allzu zart Besaitete ein Horror-Szenario: Da warten schon die nächsten OB-Besucher, Verwaltungsmitarbeiter kommen und gehen, pausenlos klingelt das Telefon, und dann ist noch jede Menge Schreibkram zu erledigen. "Mein Ziel war, möglichst allem und jedem gerecht zu werden. Und ich glaube, das ist mir in den allermeisten Fällen gelungen", zieht Liesel Clemens eine "Bilanz, mit der ich durchaus zufrieden bin" und lässt dabei durchblicken, dass das "gelegentliche Lob", das ihr zuteil geworden sei, sehr gut getan habe: "Man ist Blitzableiter nach allen Seiten und muss ja wirklich viel einstecken auf diesem exponierten Posten". Aber auch dieser dezente Hinweis geht nicht an Schröers Adresse. Nein, der sei ein guter Chef und das Arbeitsverhältnis optimal. Deshalb habe sie sich auch vor zwei Jahren von ihm "breitschlagen" lassen, den Eintritt in den Ruhestand aufzuschieben. Jetzt aber gibt es kein Zurück mehr: "Meine fast fünfjährige Enkelin Flora sagt immer: ‚Omi, wenn Du nicht mehr arbeiten gehst, dann komm ich Dich ganz oft besuchen'. Darauf freue ich mich sehr." Aber die Touren nach Köln zu Sohn, Schwiegertochter, Flora und Elias (anderthalb Jahre) gehören weiterhin zu Liesel Clemens' Programm. Ihren beiden Gymnastikgruppen ("für Wirbelsäule und Gelenke"), die sie im Volkshochschul-Auftrag in Pfalzel leitet, will die gebürtige Ingelheimerin, die seit 20 Jahren in Quint lebt, ebenso treu bleiben wie dem Mertesdorfer Walking-Kreis ("Abspannen und wohl fühlen - das gefällt mir"). In Schröers letztem OB-Jahr (bis 31. März 2007) wird die bisherige Urlaubsvertretung im Vorzimmer arbeiten. Angst, dass ihr demnächst die Decke auf den Kopf fallen könnte, habe die frisch gebackene Ruheständlerin nicht: "Sollte es mir wirklich mal langweilig werden, dann lese ich endlich mal meine ganzen Bücher." Lieblingsthema: ferne Länder. "Auch dafür habe ich jetzt endlich Zeit." Der Türkei/Ägypten-Urlaub ist bereits gebucht und eine Schiffsreise zum Nordkap das Traumziel.

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