Alles andere als ein simpler Job

TRIER. Sie sind das "Bodenpersonal" des Einzelhandels: Die mehr als 2000 Verkäuferinnen und Verkäufer, die täglich den Betrieb in der Trierer City aufrecht erhalten. Ein simpler Job, möchte man meinen. Doch was der Kunde sieht, macht nur einen Bruchteil der Arbeit aus.

9.25 Uhr , fünf Minuten bis zur Fütterung der Raubtiere. Vor den Toren der Galeria Kaufhof sammeln sich die ersten Kunden, als Ingrid Johann ihren Dienst in der Parfümerie antritt. Seit 28 Jahren ist sie im Haus, seit elf Jahren arbeitet sie in dieser Abteilung, die schon aufgrund des exponierten Platzes so etwas wie ein Aushängeschild des Warenhauses ist. Gleich neben dem Haupteingang: Wer dort steht, braucht Flexibilität und Geduld. Zumal an diesem Morgen, wo es vom ersten Moment an zur Sache geht. Nicht wegen der Kunden, die tummeln sich so früh am Tag nicht unbedingt in der Abteilung für Düfte und Körperpflege. Aber morgen erscheint ein Prospekt mit Angeboten, und die frisch gelieferten Waren harren in den engen Gängen zwischen Rasierklingen, Lippenstiften und Bruno-Banani-Aftershave der Präsentation an einem angemessenen Gabentisch.Fahrstuhl rauf, Fahrstuhl runter

Ingrid Johann ist "Erstverkäuferin" - am Bau würde man wohl Vorarbeiter dazu sagen. Sie trägt die Verantwortung für die täglichen Abläufe. In diesem Fall heißt das: Überlegen, wo die Prospekt-Ware ein kundenträchtiges Plätzchen findet. Und gleichzeitig weiteren Nachschub im Lager holen. Und den Warenbestand überprüfen. Und die Schilder für Preisänderungen drucken. Und, und, und.10.15 Uhr , die morgendlichen Routinegänge sind erledigt. Fahrstuhl rauf, Fahrstuhl runter, quer durch die Gänge, hin und her. Und zwischendurch immer einen Blick auf das, was in der Abteilung los ist. Automatisch die schief stehende "Opium"-Flasche richten, den runter gefallenen Kamm geschickt wieder aufhängen, eine Lücke für die große Deko-Flasche finden, einer Gruppe Schülerinnen Duftstreifen anbieten. Und die Kasse nicht vergessen. Dafür ist sich hier niemand zu fein, selbst Abteilungsleiterin Theresia Friedrich springt ein, wenn Not am Mann - oder in diesem Fall der Frau - ist.11.05 Uhr , es wird Zeit, sich um den Bestand zu kümmern. Die Zeit des Waren-Zählens ist vorbei, Ingrid Johann arbeitet mit POS. Das ist ein Computer im Handy-Format, der Ein- und Ausgänge automatisch registriert. Aber Rechner sind nicht intelligent, und ohne die Vorgaben der Verkäuferin wäre die Elektronik aufgeschmissen. Ingrid Johann bestimmt die "Thekenbegrenzung", will heißen: Sie legt fest, wie viel von der Ware vorrätig sein soll. Plant sie zu großzügig, sprengt sie die knappen Lagerkapazitäten. Plant sie zu kleinlich, stehen die Kunden vor einer Lücke im Regal. Millimeterarbeit.11.40 Uhr , plötzlich brummt es in der Abteilung. "Typisch für diese Zeit", meint Ingrid Johann. Weil sie schon wieder unterwegs sein muss, rotiert Azubi Stefanie Horsch zwischen Sondertisch-Aufbau und Kasse hin und her. Kaum bildet sich eine kleine Schlange, gibt es die ersten Sonderwünsche. Zwei Kinder wollen eine Geschenkverpackung, eine Dame sucht "so ein Gesichtswasser für unter die Creme". Ein älterer Herr ("Wo Sie schon so nett sind, junge Frau") erkundigt sich nach der Qualität der Anzughosen aus dem Sonderangebot. Da müsste Stefanie Horsch aus der Parfümerie schon eine Hellseherin sein. Trotzdem setzt sie ihr strahlendstes Lächeln auf.12.15Uh r , der Reporter hält unauffällig, aber erfolglos nach einem Stuhl Ausschau. Ingrid Johann lacht. Zehn Stunden Stehen sind für sie völlig normal. "Frau Johann, kommst du mit in die Mittagspause?", fragt eine Kollegin. Diese kuriose Anredeform ist unter Verkäufern offenbar üblich. Vor der kleinen, nicht übermäßig gemütlichen Kantine hängt ein Handzettel mit einem auffälligen Daumen. Die Mitarbeiter erfahren tagesaktuell, wie ihre Umsätze sind und wie der Vergleich zum Vorjahr auffällt. Die Informationen werden bis in die einzelnen Abteilungen runtergebrochen, jeder Mitarbeiter weiß jederzeit, wie die Geschäfte gehen - so viel Transparenz würden sich andere Branchen wünschen. Der Daumen zeigt an diesem Tag übrigens nach oben.15.30Uhr , endlich ist die Schlacht um die Prospektwaren geschlagen, auch alle Nachlieferungen sind einsortiert. Aufatmen. Und Zeit, sich noch mehr um die Kunden zu kümmern. Ein "gutes Auge" sei wichtig, sagt Ingrid Johann. Spricht man den potenziellen Käufer zu früh an, wirkt es aufdringlich. Ist man zu spät an, sieht es nach Desinteresse aus. Profi-Verkäufer haben gelernt, auf die entsprechenden Signale zu achten. Bei den Stamm-Aushilfen werden Schulungen angeboten. 17.58 Uhr , der Arbeitstag neigt sich dem Ende zu. Leerlauf? Fehlanzeige. Immerhin, Ingrid Johann kommt pünktlich aus dem Haus. Diejenigen, die bis Ladenschluss bleiben, müssen sich nach den Kundenströmen richten, da wird es schon mal später. Aber die Zeit wird genau erfasst, so dass man sie als Überstunden "abbummeln" kann. Flexibilität, die Arbeitgeber und Arbeitnehmern nützt. Fünf Tage in der Woche steht Ingrid Johann in der Parfümerie, zweimal muss sie Samstags ran. Um Weihnachten, Ostern und Muttertag ist Großkampfzeit, dann geht es schon mal heftig zu. Aber der Job im Team mache ihr "trotz allem richtig Spaß", sagt die 50-Jährige. Von wegen übrigens "simpler Job": Verkäuferinnen sind Warenmanager, Auslagendesigner, Kundenberater, Psychologen. Jedenfalls wenn sie gut sind.

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