Alles eine Frage des Blickwinkels? Ein Deutscher in der Moschee, ein Iraker im Kloster - ein Perspektivenwechsel

Trier/Konz/Himmerod · Rund Dreiviertel der Flüchtlinge, die in der Bundesrepublik Asyl suchen, sind Muslime. Auf viele Deutsche, auch auf Christen, wirkt diese Religion noch immer fremd. Doch sind das Christentum und der Islam wirklich so verschieden? TV-Redaktionsmitglied Christian Altmayer und der Iraker Ayad Abed gehen zusammen auf Spurensuche in einer der beiden Konzer Moscheen und dem Kloster Himmerod.

Trier/Konz/Himmerod. Ein afghanischer Flüchtlingsjunge liegt auf dem Boden des Trierer Doms. Er ist so versunken in sein Gebet, dass er den Priester nicht bemerkt, der ihm zuschaut. Als er wieder die Augen öffnet und den Geistlichen sieht, erschrickt er. Doch dieser beruhigt ihn: "Wir glauben alle an denselben Gott. Zum Beten bist du hier immer willkommen!"

Diese Geschichte erzählt mir Ayad Abed bei unserem ersten Treffen. Der irakische Muslim hat sie kurz nach seiner Ankunft in Deutschland in einer Flüchtlingsunterkunft gehört.
Heute, etwa zehn Jahre später, sitzen wir zusammen, um über unsere eigene Geschichte zu sprechen. Auch sie handelt von den Gemeinsamkeiten der Religionen, aber auch von den Unterschieden. Gemeinsam haben wir Zisterzienser-Mönche im Kloster Himmerod und gläubige Muslime in der Konzer Moschee getroffen und festgestellt: Ganz so einfach wie in Ayads Erzählung ist es offenbar nicht, Christen und Muslime zusammenzuführen. Dabei scheint es allerdings nicht der Glaube selbst zu sein, der die beiden Gruppen trennt, sondern das, was die Gläubigen daraus machen.

Der erste Eindruck (Altmayer): Ich bin ein Fremder, ein Eindringling. Die Männer in der Konzer Haci Bayram Camii Moschee besprechen sich leise, flüstern sich gegenseitig Worte ins Ohr, die ich nicht verstehe. Immer wieder wandern ihre Blicke zu mir, bleiben auf meiner Kamera hängen, meinem Notizblock. "Sie misstrauen dir, weil du zur Presse gehörst", raunt mein Begleiter Ayad Abed mir zu. Sie haben Angst vor Negativ-Schlagzeilen. Und das offenbar nicht ohne Grund. "Wir haben schlechte Erfahrungen gemacht", sagt ein Moscheebesucher: "Aber wir sind garnicht so, wie die uns immer darstellen." Mit die meint er die Medien, mit so: "gewalttätig, fanatisch, gefährlich." Ayad versucht zu vermitteln: "So eine Geschichte wollen wir nicht schreiben", sagt er. Wieder tuscheln die Männer, tauschen Blicke aus. Dann endlich nickt der Imam. "Du darfst bleiben", sagt er: "Aber keine Fotos!"

Der erste Eindruck (Abed): Eine sonntägliche Stille liegt über Himmerod. Auf Zehenspitzen treten Christian und ich durch die kleine Tür zur Klosterkirche, damit wir die Gläubigen nicht stören. Wir setzen uns ganz nach vorne. Die Mönche im grünen Gewand eröffnen die Messe. Orgelmusik erklingt und die Gläubigen stehen auf. Während sie singen, schließe ich meine Augen und lasse meinen Gedanken freien Lauf: Ich reise zurück ins Mittelalter, in die Zeit der Kreuzzüge. Damals tobte im Orient ein blutiger Konflikt zwischen Moslems und Christen. Was wäre passiert, wenn die beiden Gegenspieler: Sultan Salah al-Din und Richard Löwenherz an meiner und Christians Stelle gewesen wären? Ein Muslim in der Kirche, ein Christ in der Moschee? Damals: Undenkbar!

Was ich erlebt habe (Altmayer): Es ist gerade einmal vier Uhr am Morgen. Trotzdem haben zehn Männer ihren Weg zum Dämmergebet in die Moschee gefunden. Die Gläubigen ziehen ihre Schuhe aus und schlurfen in den Gebetsraum. Die Muslime legen sich auf den Boden und beten, die Augen geschlossen. Es herrscht völlige Stille. Nur das Kratzen meines Kugelschreibers auf dem Papier ist zu hören. Ein junger Mann rezitiert eine Sure aus dem Koran. Die Sprache ist mir fremd und doch: Diese Melodie, diese Betonung - sie wecken eine Erinnerung: Ich bin zehn Jahre alt, es ist Heiligabend. Mit meiner Mutter sitze ich in der Kirche - in meiner Familie war das vor der Bescherung eine Tradition. Ich stehe die Messe durch - das Singen und das Knien auf der harten Holzbank.
Auch in der Kirche fühlte ich mich fremd, aber ich gehörte dazu, saß mittendrin. Hier hocke ich am Rand des Gebetsraumes, bin nur Beobachter. Rund acht Stunden später besuchen Ayad und ich die Moschee erneut. Dieses Mal ist sie gut gefüllt. Der Imam hält eine Predigt auf Türkisch, ein anderer übersetzt seine Worte ins Deutsche: "Die Muslime sollten sich vom Hass abwenden", sagt er. Jedem Menschen, egal welchen Glaubens oder welcher Herkunft, solle mit Respekt begegnet werden. Vom Jihad, der Scharia, dem Terror und der Gewalt höre ich nichts.

Was ich erlebt habe (Abed): Ich lausche den Gebeten, bekräftige sie zusammen mit den Gläubigen: "Amen!" Die Worte berühren mich, finden ihren Weg in mein Herz. Ich höre Lobpreisungen, Danksagungen. Vieles kenne ich aus dem Koran. Nach dem Gottesdienst verlassen wir die Kirche. Der Postulant Sascha, ein Anwärter auf das Mönchsamt, führt uns zum Oratorium. Hier werden die Mönche eines ihrer sieben Gebete aufsagen.
Sieben! Wir Muslime sprechen nur fünf am Tag. Während die Ordensbrüder beten und singen, lese ich in einem Fürbittenbuch, das ich aus dem Regal genommen habe. Dort finde ich einige Verse über Zacharias, David und Musa - auch von diesen Propheten ist im Koran die Rede.
Wir folgen den Mönchen in den Speisesaal, sitzen gemeinsam am Tisch. Sie erscheinen mir bescheiden und gastfreundlich, aber ein wenig zurückhaltend. Besuch bekommen sie sicher nicht häufig und normalerweise dürfen sie beim Essen nicht sprechen. Heute brechen die Zisterzienser für uns ihre Schweigeregel. Wir plaudern über den Glauben, aber auch über mein Herkunfsland. Ich erzähle ihnen von meiner Heimatstadt Bagdad. Dort haben, wie in weiten Teilen der arabischen Welt, Muslime und Christen vor dem Einmarsch des IS ohne Konflikte zusammengelebt. Warum sollte das hier in Deutschland nicht möglich sein?
"Man darf sich nichts vormachen", sagt einer der Mönche. "Es gibt unüberbrückbare Unterschiede: Die Muslime glauben nicht an unseren Messias Jesus Christus." Manche Differenzen könne man eben nicht wegdiskutieren, sagt er. Ich denke: Aber vielleicht einige.

Christian Altmayer (25) ist in einer katholischen Familie aufgewachsen. Er fühlte sich der Religion aber nie verbunden und entschied sich schon vor Jahren, aus der Kirche auszutreten.
Ayad Abed hat bis 2006 im Irak gelebt. Dann kam er als Flüchtling nach Deutschland. Er ist ein säkularer Muslim. Den Fundamentalismus im Islam betrachtet er kritisch.

Die komplette Serie finden Sie im Internet unter:
volksfreund.de/fremdeheimat
Extra

Religiösität: Etwa die Hälfte der Muslime. die in Deutschland leben, würden sich, nach einer Studie der Deutschen Islamkonferenz als "eher gläubig" bezeichnen. 36 Prozent der Befragten geben an "sehr stark gläubig" zu sein. Die übrigen 14 Prozent fallen in die Kategorie "überhaupt nicht gläubig" oder "eher nicht gläubig". Dabei ist vor allem die Herkunft der Moslems zu beachten - glaubt man der Studie, kommt der überwiegende Teil der frommen Muslime aus zentral- oder südafrikanischen Ländern und nicht aus dem Nahen Osten. Zusammen beten: Moscheen besuchen nur etwa ein Drittel der Muslime. Viele sprechen ihre Gebete zuhause - so auch unser Mitarbeiter Ayad Abed. Zum Vergleich: Nur etwa zehn Prozent der registrierten Christen geht, nach Zählungen der Kirchen, regelmäßig am Sonntag zum Gottesdienst. Rituale: Laut der Studie spielen für 69 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime ihre religiösen Feste und Feiertage eine große Rolle. Das Fasten am Ramadan ist ihnen wichtig, ebenso halten die meisten sich an Speise- und Getränkevorschriften, beispielsweise den Verzicht auf Schweinefleisch und Alkohol. Auch für die deutschen Christen spielen religiöse Feste eine große Rolle. Weihnachten und Ostern werden auch von Katholiken und Protestanten gefeiert, die sich selbst nicht als gläubig bezeichnen würden. Speise- und Getränkevorschriften gibt es im Christentum wenige - die Fastenzeit etwa zwischen Karneval und Ostern wird von den wenigsten konsequent begangen. Auch durch die Ankunft der Flüchtlinge könnte sich die Situation seit Veröffentlichung der Studie geändert haben. Die meisten Asylbegehrenden stammen aus Syrien - einem Land in dem, das vor dem Einmarsch des Islamischen Staates, nur ein sehr geringer Anteil der Bevölkerung "strenggläubig" war. Das sagt jedenfalls Islamwissenschaftler Thorsten Gerald Schneiders. "Syrien war ein säkularer Staat - Christen gingen sonntags in muslimische Läden einkaufen, Moslems freitags zu den Christen." Das heißt: Die meisten, die nach Deutschland kommen, sind wahrscheinlich nicht strenggläubig. Allerdings, sagt Schneiders: Wer fern der Heimat lebt, wendet sich oft stärker seiner Religion zu. Er sucht das Vertraute im Fremden. So sei es nicht ungewöhnlich, dass junge Männer, für die ihr Glaube noch in Syrien kaum eine Rolle gespielt hat, in Deutschland beginnen regelmäßig eine Moschee zu besuchen. cha

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