"Alles platt gemacht und verbaut"

KÜRENZ. Drei Viertel ihres Lebens wohnte die heute 78-jährige Rotraud Schattel am Petrisberg, bis sie wegen ihrer Kinder nach Dietz an der Lahn zog. Bei einem Besuch der Landesgartenschau in Trier ließ sie ihr Leben auf dem Berg Revue passieren.

Geboren im Großelternhaus in der Saarstraße, zog Rotraud Schattel mit ihrer Familie aus der Kessellage 1927 auf den Petrisberg in die Straße Am Deimelberg 17. Damals begann dort die aufsteigende Bebauung des Petrisberghangs. Es wurden reichseigene Häuser gebaut, die eigentlich für französische Familien gedacht waren - "doch die waren ihnen wohl noch zu feucht", glaubt Schattel.Ein idealer Spielplatz für Kinder

So zogen deutsche Beamte und vor allem Lehrer in das Viertel ein. "Bald behaupteten böse Zungen, nicht Regen, sondern rote Tinte laufe den Kreuzweg herunter. Natürlich waren es die Lehmauswaschungen des Baugebiets." Es waren die unberührte Natur, die Wingerte und Wiesen und der Treffpunkt Franzensknüppchen, die den Kindern damals ein unbeschwertes Spielen ermöglichten. Und gefährliche Mutproben, wenn sie im Winter per Schlitten den Berg hinunter bis zur Gartenfeldbrücke sausten - zwischen Vorder- und Hinterachse unter einem langsam fahrenden Postpaketauto hindurch. "Und heute rege ich mich über S-Bahn-Surfer auf!", sagt Rotraud Schattel augenzwinkernd. Die nahen Weiden schwanden, als Unterkünfte für Kriegsgefangene gebaut wurden. Wenn sie den Kreuzweg hinunter zu Arbeitseinsätzen geführt wurden, deponierten Bewohner Butterbrote an den Kellerfenstern, erinnert sich Schattel. "Mir haben ehemalige Kriegsgefangene später gesagt, dass es in Trier nicht das Schlechteste war, immer noch besser, als an der Front zu sein", meint die ehemalige Lehrerin. Die Familie wurde ausgebombt, Rotraud Schattel in Feldlazaretten eingesetzt. Als sie nach amerikanischer Kriegsgefangenschaft wieder nach Trier zurück kehrte, suchte sie sich am Deimelberg Holz und Balken zusammen, um in einer Trümmerecke ihrer früheren Wohnung zu hausen. Das "Hausen" hielt jahrelang an. "Wir hatten in dem Beamtenviertel ja keine Tauschmittel und mussten in Tarforst regelrecht betteln gehen", berichtet sie. Mittlerweile verheiratet, zog es sie auch mit ihrem Mann immer wieder zum Franzensknüppchen. "Da haben wir die Eintracht-Spiele hören können und wussten, je nachdem ob ,Aah oder ,Ooh', wie das Spiel verlief." Als am Keuneweg Einfamilienhäuser gebaut wurden, zog die Familie dorthin. Toleranz, Hilfsbereitschaft, kein innerstädtischer Klatsch oder Streit - so charakterisiert Schattel das Leben in dieser Straße auf dem Petrisberg.Versöhnlicher Kaffee mit den Soldaten

"Kürenzer Lehmärsch" nannte man die Bewohner wegen der Erde. "Ich habe mich gleich gefragt, wie man die Gartenschau auf so einem Boden errichten kann, da wächst doch kaum was", wundert sich die Frau. Von den benachbarten französischen Soldaten bekamen die Bewohner außer gelegentlicher Feste oder Kommandorufe nicht viel mit. Manchmal jedoch kamen Franzosen in den Keuneweg, die ihr früheres Kriegsgefangenenlager suchten. Diese Begegnungen endeten dann schon mal bei einer versöhnlichen Tasse Kaffee oder einem Glas Wein, erzählt Schattel. Mit dem Bau des Militärslazaretts wurde am Keuneweg die Bauarbeiterkantine eingerichtet - damit erhielten die Bewohner die Möglichkeit, Lebensmittel einkaufen zu können. Der Petrisberg von damals, der Rotraud Schattel und ihren Kindern ein Abenteuergelände mit viel Natur war, ist nicht mehr "ihr" Petrisberg. "Da ist alles platt gemacht und verbaut, auch die Kleeburger Höfe und der Ziegenbock sind weg", sagt sie bedauernd.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort