Anatomie eines Erdrutsches

TRIER. Der rot-grüne Erdrutsch in Trier: Wie wurde er möglich? Noch kurz vor der Wahl tippten alle Beobachter auf ein knappes Ergebnis, und selbst die Auguren der einzelnen Lager mochten sich genau so wenig auf eine Prognose festlegen wie die journalistischen Beobachter des Wahlkampfs.

Der Wähler aber sah die Sache ganz anders: Zwei Drittel derer, die ihre Stimme abgaben, votierten für Klaus Jensen. Im vergangenen Sommer, als er seine Kandidatur erklärte, war er - trotz Staatssekretärs-Vergangenheit - für die meisten Trierer ein unbeschriebenes Blatt. Obwohl es um einen vakanten Titel ging, galt er eher als Herausforderer, ein personifizierter Ausdruck von Opposition gegen den herrschenden Politikstil in Trier.Die vielen Irrtümer der Christdemokraten

Während Jensen dank frühen Vorpreschens allein als Kandidat im Rampenlicht stand, kam die CDU nicht in die Gänge. Man hing in internen Querelen fest. Christoph Böhr wollte den Aufstieg des ungeliebten, aber chancenreichen Bürgermeisters Georg Bernarding auf den Chefsessel verhindern. OB Schröer und einige erfahrene CDU-Altvordere favorisierten mangels potenter eigener Bewerber eine externe Lösung. Kandidaten wie Ex-IRT-Chef Thiele, Polizeipräsident Bitter, die Bingener Landrätin Collin-Langen und die als Professorin tätige Tochter des früheren Ministerpräsidenten Wagner kursierten in CDU-Kreisen. Bis der damals noch allgegenwärtige Christoph Böhr entschied, Ulrich Holkenbrink aufs Schild zu heben, den amtierenden Trierer Parteivorsitzenden und Kulturdezernenten.

Böhr, seinerzeit noch potenzieller Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, zog die Fäden, Bernarding, ohnehin persönlich angeschlagen, ließ es auf keinen Kampf ankommen. Holkenbrink wurde nominiert, die Partei stellte sich brav hinter ihn, obwohl ein einflussreicher Christdemokrat schon damals warnte, der kunstsinnige Pädagoge sei "unseren Stammwählern nicht vermittelbar".

Holkenbrink hatte sich zu keinem Zeitpunkt um das Amt gedrängt. Er nahm, Monate nach Jensens Frühstart, den Wahlkampf auf - mit einer Intensität, die ihm kaum jemand zugetraut hatte. Unermüdlich "schrubbte" er Termine, schüttelte Hände. Aber wo immer er auftauchte, kam auch die Frage auf, warum er denn früher so selten dort gewesen sei.

Jensen schlug derweil Pflöcke ein, besetzte inhaltliche Themen. Immer wieder griff er die Konkurrenz auf der weichen Flanke an: Die Politik der Stadt sei nicht transparent, die Bürger zu wenig beteiligt. Ein Argument, das die Christdemokraten sträflich unterschätzten. Holkenbrink war als hauseigener CDU-Chef ein klassischer "Weiter so"-Kandidat, aber die Bürger waren nicht in "Weiter so"-Stimmung. Als man das in der CDU bemerkte, war es zu spät. Im Gegenzug scharten sich hinter Jensen alle, die etwas Neues wollten - auch wenn sie nicht immer genau wussten, was.

Die Grundstimmung pro Wechsel war ein wesentlicher Grund für Jensens Sieg, aber dass er in solcher Höhe zustande kam, hatte auch mit den handelnden Personen zu tun. Schon früh war spürbar, dass im Kreis der gutbürgerlichen Mitte, die Helmut Schröer stets zu Mehrheiten verholfen hatten, wenig Zutrauen in die Management-Fähigkeiten Ulrich Holkenbrinks bestand. Einzelhändler, Mediziner, Juristen, Handwerker: Wo immer man mit Multiplikatoren sprach, wurde - natürlich hinter vorgehaltener Hand - deutlich gemacht, dass man die persönliche Integrität Holkenbrinks schätze, ihm aber den Job nicht zutraue. So blieb massenhaft CDU-Potenzial beim Wahlgang zu Hause, was zu dem verheerenden Resultat führte, dass Holkenbrink keinen einzigen Wahlbezirk gewann, nicht einmal die traditionell schwärzesten.

Jensen punktete mit seinem eher zurückhaltenden Stil und einem Wahlkampf, der auf Schärfen völlig verzichtete. Für sein Profil brauchte er keine Holzhammer-Methode, stand er doch auch ohne allzu klare Aussagen für eine Grundlinie, die man im weitesten Sinn als "ökosozial" bezeichnen könnte. All zu genaue Festlegungen mied er, was ihm aber offenkundig nicht schadete.

Fatal dürfte sich für Ulrich Holkenbrink vor allem ausgewirkt haben, dass Jensen ihn gegen Ende des Wahlkampfs gerade auf seinem ureigenen Sektor Schule und Kultur in die Enge trieb. Der miserable Zustand der Trierer Schulen, der Niedergang der Antikenfestspiele: Jensen diktierte die Themen, sein Konkurrent tat so, als hätte er mit den Problemen nichts zu tun. Auffällig, dass sich aus der riesigen Trierer Kulturszene allein Karl Maihoroff öffentlich als Holkenbrink-Wähler bekannte.

Dass einzelne Wadenbeißer aus CDU-Kreisen versuchten, Schärfe in den Wahlkampf zu bringen, war sicher nicht Holkenbrinks Schuld - aber es hat ihm geschadet. Ebenso wie der unselige Versuch, Jensens gute Kontakte nach Mainz und sein Verhältnis zur SPD zum zentralen Wahlkampfthema zu machen. So hat man die Trierer erst richtig darauf aufmerksam gemacht, dass sie gegenüber dem Land von einem OB Jensen kräftig profitieren könnten.

Am Ende versuchte Holkenbrink es mit einem Verzweiflungsakt, versprach per Anzeige Millionensummen für Schulen und Straßen. Geholfen hat es nichts mehr.

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