Aspirin statt Bettruhe

TRIER. Ein paar Tabletten - und los: Immer mehr Menschen schleppen sich zu ihrem Arbeitsplatz, obwohl sie krank sind. Druck vom Arbeitgeber, von Kollegen und überzogene Ansprüche an sich selbst sind die Gründe.

Johanna B. (Name geändert) wäre besser im Bett geblieben. "Ich hatte eine Blasenentzündung, ich hatte Fieber und es ging mir ziemlich schlecht", berichtet die Altenpflegerin aus Trier. "Da ich aber eingeteilt war und wusste, dass zu der Zeit niemand gern einspringt, bin ich halt arbeiten gegangen." In einer Umfrage des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (Wido) gaben über 90 Prozent der Befragten an, sie versuchten auch dann zur Arbeit zu gehen, wenn es ihnen nicht so gut geht. Über 70 Prozent gaben an, innerhalb des vorangegangenen Jahrs zur Arbeit gegangen zu sein, obwohl sie sich richtig krank fühlten. Krankenstand sinkt kontinuierlich

Die Zurückhaltung, sich krank zu melden, geht mit der wirtschaftlichen Entwicklung einher. Betrug im Jahr 2001 der Krankenstand unter den Versicherten der AOK Trier noch 5,4 Prozent, so sank er im Jahr 2002 auf 5,3 Prozent. Die Entwicklung vollzieht sich langsam, aber stetig: 1999 fielen noch 5,6 Prozent der Arbeitsstunden der Versicherten durch Krankheit aus. Carl Heinz Müller, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Trier, ist über die Entwicklung nicht verwundert: "In den Praxen erleben wir das jeden Tag. Die Patienten kommen später als noch vor einigen Jahren. Oft versuchen sie, vorher mit altbekannten Mitteln wie Aspirin oder Kamillentee Heilung herbeizuführen. Wenn jemand schließlich den Arzt aufsucht, bittet er wegen des Mangels an Mitarbeitern darum, möglichst nur für kurze Zeit krank geschrieben zu werden - kürzer als es der Heilungsverlauf eigentlich erfordert." Damit sich manche Leute krank melden, muss viel passieren. Müller berichtet von Patienten, die trotz einer schweren Bronchitis, einer Nebenhöhlenentzündung oder eines akuten Hexenschusses unbedingt arbeiten wollten. Trotzdem sind die Menschen nicht komplett verantwortungslos geworden. "Insgesamt gehen die Patienten mit ihren Erkrankungen heute sorgsamer um", meint Müller. Rückenschule in den Betrieben

Auch die Betriebe sind bemüht, die Krankenstände zu senken. Gesundheitsfördernde Angebote wie Sport oder Rückenschule sollen die Mitarbeiter fit halten. In der Untersuchung des Wido gab allerdings jeder Siebte an, dass es in seinem Betrieb "Rückkehr-Gespräche" gebe: Mitarbeiter, die sich häufig krank melden, müssen sich zum Gespräch bei dem Vorgesetzten melden. Drei Viertel der Befragten glauben, dass vor allem Angst um den Arbeitsplatz dazu führe, dass man sich mit Krankmeldungen zurückhält. Fast zwei Drittel der Arbeitnehmer rechnen mit Nachteilen im Unternehmen, wenn man sich häufig krank meldet. Johanna B. hat keine Angst um ihren Job. Sie stellt aber den Anspruch an sich selbst, ihre Kollegen nicht unnötig zu belasten. "Ich rechne nicht mit Nachteilen, wenn ich mal krank bin", sagt sie. "Aber die Personaldecke ist bei uns ja nicht so dick, man weiß immer, dass man jemandem zur Last fällt. In kleinen Betriebsstrukturen ist das ja sehr übersichtlich." Letzten Endes lohnt es nicht, wenn sich ein Mitarbeiter krank zur Arbeit schleppt. Oft verschlimmert sich die Krankheit, die Fehlzeit wird länger. Müller: "Wenn aus einer Bronchitis eine Lungenentzündung geworden ist, melden sie sich dann doch krank."

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