Auf der Suche nach den Eltern

Als Luftwaffenhelfer bin ich Heiligabend auf Kurzurlaub nach Trier gefahren. Als der Zug gegen Mittag in Sehlem eintraf, war Schluss mit der Fahrt. Wegen der Tiefflieger blieb der Zug im Taleinschnitt beim Bahnhof stehen.

Auf einem Tankwagen der Wehrmacht sitzend, immer Ausschau haltend nach Tieffliegern, fuhren wir dann mit mehreren Leuten weiter in Richtung Trier. Die Fahrt endete abrupt am Bahnhof in Ehrang, als wir wegen der Tiefflieger vom Wagen in den Berghang flüchteten. Bei unserer Rückkehr war der Tankwagen weg und leider auch mein Koffer. Zu Fuß habe ich dann gegen 14 Uhr Biewer erreicht und mich wegen der stärker werdenden Fliegertätigkeit am Luftschutzstollen aufgehalten. Danach bin ich zur Kanzel hochgegangen, am Ende des Felsenweges. Von dort habe ich den Bombenangriff auf die Pfalzeler Eisenbahnbrücke mit den schweren Schäden in Pfalzel, Ruwer und Umgebung der Brücke miterlebt. Man konnte die Bomben fallen sehen und rauschen hören. Es war ein ohrenbetäubendes Inferno. Das ganze Ausmaß konnte ich am ersten Weihnachtstag noch kurz vor meiner Weiterfahrt in Pfalzel sehen. Im Luftschutzstollen lernte ich eine Familie aus Biewer kennen, die mich für den Abend einlud, falls ich zu Hause niemanden mehr erreichen würde. Mit einem Wehrmacht-Kübelwagen bin ich dann in einer Militärkolonne als Luftspäher, genannt "Luki-Luki", bis zur Kaiser-Wilhelm-Brücke mitgefahren. Rauchschwaden und Brandgeruch lagen über der Stadt, eine gespenstische Ruhe, bei der einem nur vereinzelt Leute begegneten. In der Langstraße - da habe ich meine Kindheit und Jugend erlebt - sah es chaotisch aus. Über die Trümmer eines Nachbarhauses bin ich geklettert und habe die Wohnung meiner Eltern erreicht. Mein Vater war Hausmeister der Berufsschule und bis zu den Angriffen vom 19. bis 24. Dezember noch dienstlich an seiner Arbeitsstelle verpflichtet. Jetzt aber war niemand mehr da. Teilweise waren nur noch Mauern erhalten, auf denen der Geruch von Brandbomben lag. Die Ton- und Bierhalle am Schulhofplatz - ein einziger Trümmerhaufen. Auf dem Schulhof lagen noch Blindgänger, einer davon wurde von meinem Vater markiert. In der Nähe der Wohnung hatte sich eine Bombe neben dem Heizungskeller der Schule in die Erde gebohrt. Da mir bekannt war, dass Dienststellen im Hochbunker am Augustinerhof untergebracht waren, habe ich mich auf den Weg gemacht in der Hoffnung, dort etwas zu erfahren. Beim Gang durch Windmühlen- und Feldstraße immer wieder das gleiche Bild: stark beschädigte Häuser, Trümmer und eine unheimliche Stille. Meine Pfarrkirche St. Paulus stand zwar noch, wenn auch stark beschädigt, in St. Irminen aber konnte man nur noch die Mauern des Kirchturms erkennen. Rund herum nur Trümmer. Im Hochbunker habe ich den Küster meiner Heimatpfarrei getroffen. Dort war aber auch nur bekannt, dass Trierer überwiegend nach Thüringen evakuiert worden waren. So habe ich also dankend die Einladung nach Biewer angenommen und dort Heiligabend bei mir vorher fremden Menschen zusammen mit einigen Soldaten verbracht. Dieser Abend bleibt bei mir in guter Erinnerung. Am ersten Weihnachtstag bin ich dann auf der Suche nach meinen Eltern bis nach Erfurt gefahren und dabei in einem Moselort an meinen Eltern unwissend vorbeigefahren, die in diesen Tagen zu Verwandten unterwegs waren. In Erfurt habe ich dann nur einige Trierer getroffen. Ein Wiedersehen gab es erst nach Arbeitsdienst, Wehrmacht und Kriegsgefangenschaft im Sommer 1945. Wilhelm Wolf, 54292 Trier, 76 Jahre

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