Aufbruchstimmung im Trierer Karl-Marx-Viertel

Trier · Zwar hat Karl Marx nach seiner Geburt nur gut ein halbes Jahr dort gelebt, das Trierer Viertel zwischen Viehmarkt und Mosel trägt trotzdem seinen Namen. Und es bereitet sich auf das Jubiläumsjahr seines Namensgebers vor: Geschäftsleute und Anwohner wollen ihren Kiez voranbringen, die Stadt einen hübschen Platz schaffen.

 Seit 27 Jahren betreibt Daniela Dacre das Restaurant Klein Florenz in der Karl-Marx-Straße 1, Zentrum des aufstrebenden Viertels zwischen Viehmarkt und Mosel. TV-Foto: Christiane Wolff

Seit 27 Jahren betreibt Daniela Dacre das Restaurant Klein Florenz in der Karl-Marx-Straße 1, Zentrum des aufstrebenden Viertels zwischen Viehmarkt und Mosel. TV-Foto: Christiane Wolff

"Ist das auch…?" Fragen, die so anfangen, hört die Verkäuferin der Metzgerei Brenig in der Johannisstraße offenbar häufig. Denn noch bevor man den Satz zu Ende bringt, kommt die Antwort: "Ja, alles aus Pferd, auch die Fleischwürstchen." Die Pferdemetzgerei ist die einzige der Region - aber längst nicht das einzige besondere Geschäft im Karl-Marx-Viertel.
In der Brückenstraße und der oberen Karl-Marx-Straße reiht sich ein inhabergeführter Laden an den nächsten: Maha Maya mit Yoga-Kleidung, Räucherstäbchen und Buddhafiguren, die wunderbare Buchhandlung Ile de Ré, der ausgefallen sortierte Bio-Fachbedarf-Laden.
Auch Handwerker sind in der citynahen Zone ansässig: Beim Unikate-Juwelier Dotzel kann man schon vom Schaufenster aus auf die Werkbänke der Goldschmiede sehen. Weitere Juweliere und zwei Orthopädieläden liefern ebenfalls noch echte Handwerkskunst. Genauso wie - weiter vorn in der Jüdemerstraße - der Geigenbauer Kling und die Konditorei Raab in der Karl-Marx-Straße selbst. Dazu zwei Kunstgalerien, drei Fotografen - einer davon spezialisiert auf historische Aufnahmen. Handwerk und Rotlicht

Außerdem geht es im Viertel international zu: Vom Tapas-Laden über das indische Restaurant Guru, den Asia-Laden Saigon Store und den Basar Oriental, geführt von einem Iraner. "Und wir haben noch sehr viel mehr tolle Geschäfte und Läden", sagt Christian Henniger, Vorsitzender der Interessengemeinschaft (IG) Karl-Marx-Viertel. Der Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, seinen Kiez als Einkaufsmeile bekannter zu machen und dessen Ruf insgesamt aufzupolieren.
Tatsächlich gilt dem Quartier, das im Westen an Triers innerstädtischen Rotlichtbezirk grenzt, nicht besonders viel Aufmerksamkeit. "Die Stadt hat in den 27 Jahren, die ich hier ansässig bin, jedenfalls nicht viel getan", sagt Daniela Dacre, Inhaberin des italienischen Restaurants Klein Florenz. Kapital für alle

Das soll sich ändern: 2017 wird die Fläche, an der die Jüdemerstraße in die Brückenstraße mündet, neu gestaltet. 150.000 Euro sind dafür im städtischen Haushalt eingeplant. Realisiert werden soll ein Gestaltungsvorschlag des Trierer Büros Ernst+Partner (der TV berichtete, siehe Text unten).
Den neuen Platz will Daniela Dacre gerne für ihr Restaurant als Gastro-Terrasse nutzen, auf der sich nicht nur Touristen, die Marx' Geburtshaus besuchen, wohlfühlen sollen.
"Wir wünschen uns seit mehreren Jahren eine Aufwertung dieser Fläche", sagt auch Christian Henniger von der IG Karl-Marx-Viertel. Schon jetzt organisiert der Verein dort kleine Feste. Kürzlich etwa eine gemütliche Weihnachtsfeier, vorrangig für die Nachbarschaft, aber auch für Passanten.
An Marx' 199. Geburtstag am 5. Mai 2017 soll es unter dem Motto "Kapital für alle" wieder einen Verschenkmarkt geben, bei dem die Anwohner Dinge, die sie nicht mehr brauchen, auf der Straße kostenlos anbieten. "Wir haben viele Ideen, um unser Viertel für Anwohner und Geschäftsleute attraktiver zu machen - und damit auch für neue Kunden, Passanten und Touristen", sagt Henniger.Tägliche Verwechselung

Touristen kommen jetzt schon viele. "Jeden Tag bleiben etliche vor unserem Restaurant stehen und fotografieren es, weil sie denken, es sei das Geburtshaus von Karl Marx", erzählt Gastronomin Dacre. Dabei befindet sich das Karl-Marx-Museum nicht nur auf der anderen Straßenseite, sondern auch etliche Meter weiter Richtung City. "Ich weiß nicht, warum das so oft verwechselt wird - vielleicht, weil an unserer Fassade das Schild ,Karl-Marx-Straße 1' befestigt ist? Vielleicht, weil in irgendeinem Reiseführer die falsche Adresse eingetragen ist?" Rechtzeitig vor dem 200. Geburtstag des großen Sohns der Stadt will Dacre ihr Restaurant renovieren. Statt durch einen kleinen Windfang soll dann eine Tür direkt auf den - dann umgestalteten - Platz führen.
In Brücken- und Karl-Marx-Straße gilt Tempo 30. Die meisten Wagen sind aber deutlich schneller unterwegs. Dabei wird es in der Karl-Marx-Straße ohnehin eng, wenn Autos unerlaubt entlang der Fahrbahn abgestellt werden. Die Busse der Linie 1 müssen dann schon mal mit den Reifen auf den gegenüberliegenden Bürgersteig ausweichen.
"Ich würde mir wünschen, dass die Polizei hier öfter kontrolliert, und dass die Jüdemerstraße für den Durchgangsverkehr gesperrt wird. Dann wäre es zumindest rund um unseren neuen Platz etwas ruhiger - und weniger gefährlich", sagt Daniela Dacre.Meinung

Das unterschätzte Viertel
Von Christiane Wolff

Jazzsession im Miss Marple's, Avantgarde in der Galerie KM9, internationales Essen, ein bisschen Schnodder, ein bisschen Chic und nicht zuletzt Kneipen, die erst nachts und dafür bis zum Morgen öffnen: Nirgends ist Trier großstädtischer als im Karl-Marx-Viertel - inklusive Rotlichtmilieu. Bislang gärt das Quartier unterhalb der Aufmerksamkeitsgrenze vieler vor sich hin. Die gesamtstädtischen Anstrengungen, die es dort noch vor dem Marx-Jubiläumsjahr 2018 geben wird, könnten das Potenzial des Kiezes allerdings explodieren lassen.
Nutzen wir die Chance!

Keine Statue, dafür Zitate und Beleuchtung


Drei Planungsbüros haben Vorschläge entwickelt, wie im Trierer Karl-Marx-Viertel ein Quartiersplatz aussehen könnte. Eine Statue gehört für die Landschaftsarchitekten nicht dazu.

Der Jury, die unter drei Gestaltungsvorschlägen für die Eckfläche Brücken-/Jüdemerstraße auswählen durfte, gehören neben Baudezernent Andreas Ludwig Vertreter der Interessengemeinschaft Karl-Marx-Viertel und des Ortsbeirats Mitte/Gartenfeld an. Sie haben sich für den Entwurf entschieden, der einen direkten Bezug zu Karl Marx herstellt. Bestimmendes Gestaltungselement sind in das Bodenpflaster eingelassene Bänder aus Bronze oder Messing. In das Metall sollen Zitate aus Marx' Werken eingraviert werden. "Die Bänder sollen unterschiedliche Abstände zueinander haben, um die Unregelmäßigkeiten des Lebens zu symbolisieren", erklärt Stefan Jacobs vom renommierten Trierer Planungsbüro Ernst+Partner im Gespräch mit dem TV. Jacobs ursprünglicher Vorschlag sah vor, die drei bisherigen Bäume des Platzes zu fällen und eine neue Linde zu pflanzen. Nach Rücksprache mit der Jury sollen die drei Robinien allerdings erhalten bleiben. "Unserer Gesamtidee tut das nicht weh, wir arbeiten unseren Entwurf zurzeit entsprechend um", sagt Jacobs. Ob zusätzlich zur vorgesehenen Gastro-Terrasse weitere Sitzmöglichkeiten installiert werden, wird ebenfalls noch diskutiert. Bäume und Gestaltungselemente sollen stimmungsvoll angeleuchtet werden. Für die 150?000 Euro, die die Stadt ausgeben will, könne kein komplett neuer Platz gebaut werden, sagt Jacobs. Möglicherweise wird das alte Betonpflaster daher bei der Neugestaltung wiederverwendet.
Auf der Entwurfsskizze ist die Jüdemerstraße nicht zu erkennen. Baudezernent Ludwig kann sich tatsächlich vorstellen, die Straße für den Durchgangsverkehr zu sperren, allerdings "erst in einem zweiten Schritt". Eine kleine Marx-Figur, wie sie die IG Karl-Marx-Viertel gerne auf dem Platz gesehen hätte, hatte übrigens keins der drei Planungsbüros vorgeschlagen. Auch Ortsvorsteher Dominik Heinrich kann sich ein solches Denkmal nur schwerlich vorstellen: "Marx hat nur rund sechs Monate seines Lebens in der Brückenstraße verbracht, da muss kein Denkmal her - auch, weil es keine Konkurrenz zur geplanten Marx-Statue auf dem Simeonstiftplatz geben sollte." woc

c.wolff@volksfreund.de

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