Ausstellung in der Volkshochschule Trier: Die jüdischen Wurzeln des deutschen Fußballs

Trier · Sie waren Vereinskumpel und Nachbarn, Fußballstars und innovative Trainer. Doch innerhalb kürzester Zeit wurden sie zu Ausgeschlossenen . Eine Austellung in der VHS Trier zeigt beispielhaft, wie die Juden zur NS-Zeit aus einem bestimmten Lebensbereich ausgesperrt wurden: dem Sportvereinswesen.

Sie stehen zusammen wie ein Mann. Einer hinter dem anderen, manchmal ruht die rechte Hand des Hinteren auf der Schulter des Vorderen. Mancher hat die Haare zu einem Seitenscheitel gestrichen, ein anderer trägt die Mähne länger, wilder.
Die Trainingshose ist zu lang für die heutige Mode und hängt bis in die Kniekehlen. Das Trikot ist eng, V-Ausschnitt mit hellem Kragen, auf der Brust prangt ein Judenstern. Der war gelb. Welche Farben Trikot und Sporthose hatten, verrät die ausgeblichene Fotografie nicht. Markus Ankerstein (49) trägt zur Vernissage der Ausstellung "Kicker, Kämpfer, Legenden - Juden im deutschen Fußball" einen hellblauen Pullover, Thomas Endres (38) ein blassgelbes Hemd unter dem braunen Sakko, die langen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Er soll zur Eröffnung eine Rede halten, vor Schirmherr Klaus Jensen, Vertretern der jüdischen Gemeinde in Trier und den ersten Besuchern in der VHS am Domfreihof. Ankerstein und Endres, Sozialpädagogen vom Exhaus, haben die Wanderausstellung nach Trier gebracht und organisiert.Fänger aus der rechten Szene


"Das Fußballstadion ist wahrscheinlich das größte Jugendzentrum hier in Trier", vermutet Endres. Dort seien viele Jugendliche unterwegs, auch gerade in der Szene der Ultras, die eine große Anziehungskraft ausübe: "Sie bietet eine Gemeinschaft, engen Zusammenhalt, zudem Erlebnisse. Wenn die Jugendlichen mit 15 Jahren das erste Mal auf ein Auswärtsspiel mitfahren, können sie sich ausprobieren, Dinge tun und erfahren, die sie zu Hause nicht erfahren. Das fasziniert sie."

Doch im Dunstkreis dieser Szene gebe es nicht nur Fans, sondern auch Fänger für die rechte Szene. "Denen versuchen wir das Wasser abzugraben, das ist eine Daueraufgabe, denn die kommen immer wieder", weiß Ankerstein. Er und Endres gehen zu den Jugendlichen, ins Stadion, auf die Straße. Sie bieten Beratungen und Gespräche über wichtige Themen, wie Ausbildung, Schule, Zoff mit Eltern und Beziehungen und Fachgesimpel über das Lieblingsthema von allen: Fußball. Denn auch die beiden sind leidenschaftliche Fußballfans. Seit 2008 graben sie mit ihrem Fanprojekt den rechten Mühlen das Wasser ab: "Die Trierer Ultraszene distanziert sich ganz klar von rechtsextremen Einstellungen", sagt Endres.

Gerade diese Einstellungen haben im Fußball gar nichts zu suchen: "Viele wissen nicht, dass der deutsche Fußball eine jüdische Vergangenheit hat", sagt Endres. Viele Vereine, die Zeitschrift Der Kicker, der DFB und sogar das Aushängeschild des deutschen Fußballs, der FC Bayern München, haben jüdische Wurzeln.

Der jüdische Präsident von Bayern München, Kurt Landauer, führte fürs Meisterschaftsspiel 1932 neue Trainingsmethoden ein, zudem einen Masseur und einen Physiotherapeuten. Standard in heutiger Zeit, damals revolutionär. Bis heute ist der Tor-Rekordhalter in einem Länderspiel mit zehn Treffern im Jahr 1912 Gottfried Fuchs, ein Jude. Oskar Rohr, Torjäger des FC Bayern, war kein Jude, aber wollte Profifußballer werden. Das war den neuen Machthabern ein Dorn im Auge, weil das als "jüdisch" galt. Rohr emigrierte in die Schweiz, weiter nach Frankreich, wurde dort während der Besatzung jedoch festgenommen und ins KZ deportiert. "Fußball hatte immer einen kosmopolitischen Ansatz, weil er international war. Es stand immer im Gegensatz zum sehr deutsch-nationalen Turnen, was geregelt ist. Beim Fußball hat man sich dreckig gemacht, es war immer ein bisschen anarchistisch. Die Nazis fanden Fußball undeutsch", erzählt Ankerstein.

Ab 1933 begann die Ausgrenzung: Erst mussten jüdische Vereinsvorsitzende oder -präsidenten ihr Amt niederlegen, dann mussten sie den Verein verlassen, konnten aber noch in eigenen jüdischen Vereinen spielen, bis das schließlich auch verboten wurde. Es folgten Bus- und Straßenbahnverbote, schließlich durften sie auch nicht mehr ins Schwimmbad. Am Beispiel der Sportvereine lässt sich nachzeichnen, wie ein systematischer Ausschluss aus der Bevölkerung vollzogen wurde.

Was in Berlin, München oder Köln passierte, geschah auch in der Region um Trier, wenn vielleicht auch etwas langsamer: "Es könnte sein, dass sich diese Mechanismen der Ausgrenzung im ländlichen Raum etwas langsamer vollzogen haben", erklärt René Richtscheid.

Der 39-Jährige hat seinen Magister in mittelalterlicher Geschichte mit Schwerpunkt Interreligiöses gemacht, seit 2007 arbeitet er im Emil-Frank-Institut in Wittlich. Im März wird er im Rahmen der Ausstellung einen Vortrag zum Thema "Juden in Sportvereinen in der Region Trier" halten. "Auch schlechte Dinge passieren auf dem Land langsamer", meint er. Darauf schließen lässt ein Dokument, das Richtscheid bei seinen Recherchen gefunden hat: Eine Festrede für den Juden Leo Sender aus Schweich, der 1934 ein Preisschießen gewonnen hatte. In der Rede wurde Sender als großes Vorbild für die Jugend bezeichnet, gehalten wurde sie von einem führenden Mitglied der örtlichen NSDAP. "Es könnte sein, dass ihnen noch nicht ganz klar war, wo die Politik hingeht", mutmaßt Richtscheid.Spannende Zufallsfunde


Sender war wie viele andere Juden in einem örtlichen Verein. Zumindest lässt sich das vermuten: "Wir haben da ein Quellenproblem. Ob jemand Jude war oder Christ, wurde vor 1933 nicht eigens aufgeführt. Deswegen sind wir da auf Zufallsfunde angewiesen." Wie eben die Rede über Sender oder Vorstandsurkunden, wie beim Wittlicher Rechtsanwalt Franz Otto Archenhold. Er wurde als Jude in den Vorstand seines Sportvereins in Wittlich gewählt. "Er war akzeptiert und hochgeschätzt, das zeigt eine starke Inklusion in die Mehrheitsgesellschaft. Gerade vor diesem Hintergrund, dass jüdische Mitbürger keine Randgruppe, sondern ein fester Bestandteil der Gesellschaft waren, ist es spannend zu erforschen, wie schnell es vollzogen werden kann, solche Menschen auszugrenzen."

Wie man da überhaupt von Integration und Inklusion sprechen könne, will Richtscheid am 3. März in der VHS Trier mit Zuhörern diskutieren. Eine Frage, die heute wieder auf den Nägeln brennt, wo in manchen Städten erneut Schwimmbadverbote ausgesprochen werden, allerdings für Flüchtlinge: "Die Situationen sind nicht eins zu eins übertragbar. Bei den Juden handelte es sich um seit Jahrhunderten ansässige Deutsche, Moselaner, Hunsrücker und Eifeler, die Platt gesprochen haben, die regional verankert waren, das waren keine Fremden. Durch die neuen Gesetze wurden sie erst zu solchen. Bei den Flüchtlingen ist Fremdheit im Prinzip ein Status quo. Man kann nicht alles vergleichen, aber manche Dinge wiederholen sich. Unter anderem die Vorzeichen." Eine große Lücke sind Dokumente, die den Geisteswandel innerhalb der Bevölkerung belegen. Das sind Dinge, die eben nicht aktenkundig werden: "Mentalität findet im Kopf statt, kollektive Mentalität ändert sich mit der veränderten Einstellung von Einzelpersonen."
An der Einstellung von Einzelpersonen arbeiten Ankerstein und Endres jeden Tag. Mit der Ausstellung wollen sie einen weiteren Beitrag dazu leisten, und wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, dann tragen sie den Berg eben zum Propheten. Die Ausstellung wird am ersten März-Wochenende ins Moselstadion Trier ziehen. Dorthin, wo die meisten Jugendlichen sind.Extra

Wie bewerten Sie die Aufarbeitung der Judenverfolgung in der NS-Zeit anhand des kleinen Felds Fußball? Klaus Jensen: ,Die Ausstellung verdeutlicht, dass sogenannte Minderheiten in Gesellschaften eine wichtige Rolle spielen und gespielt haben, wie eben die Juden im Fußball im Nationalsozialismus. Die Ausstellung gibt Anlass, darüber nachzudenken, was dazu führt, dass Normalität plötzlich keine Normalität mehr ist, sondern ganze Volksgruppen vernichtet werden können, obwohl sie über Jahrhunderte ein fester Bestandteil einer Gesellschaft waren. In Ihrer Eröffnungsrede haben Sie angesprochen, dass das Wort ‚Jude‘ von Jugendlichen im Stadion als Schimpfwort benutzt wird - was sagen Sie dazu? Jensen: In der Gruppe fühlt man sich stark und enthemmt. Umso wichtiger ist es aufzuklären, mit den Jugendlichen zu sprechen. Wir haben alle diesen Auftrag, in den Familien, Kindergärten, Schulen und auch im Stadion. Unter anderem dieser leichtfertigen Benutzung von Begriffen, dieser Einschätzung von bestimmten Bevölkerungsgruppen etwas entgegenzuhalten, damit die Würde all dieser Menschen gewahrt beziehungsweise wiederhergestellt wird. Das ist eine Generationenaufabe. Denn das, was die jungen Leute dort schreien, das haben sie nicht von Jüngeren, sondern von Älteren. Viele Besucher wirken, als wären sie noch nie in einem Fußballstadion gewesen und würden nicht wissen, dass es dort mitunter sehr gewalttätig zugehen kann. Jensen: Ich muss natürlich ein gewisses Verständnis als Fußballfan, der sein ganzes Leben mit Fußball verbracht hat, dafür haben, dass es Leute gibt, die dies nicht tun. Was allerdings nicht geht, ist ein so großes gesellschaftliches Phänomen einfach auszuklammern, nur weil man sich nicht für Fußball interessiert. Wenn wir ehrlich sind, dann trägt doch jeder von uns Feindbilder mit sich, die Frage und Aufgabe von Zivilisation und Kultur ist, wie wir das in den Griff kriegen und wie man an sich arbeiten kann, dass das nicht wächst, sondern weniger wird. sbraExtra

Die Wanderausstellung "Kicker, Kämpfer, Legenden - Juden im deutschen Fußball" vom Centrum Judaicum aus Berlin ist im Foyer der VHS Trier, Domfreihof 1b, noch bis Freitag, 4. März, zu sehen. Die VHS hat montags bis freitags von 9 bis 18 Uhr und samstags von 10 bis 13 Uhr geöffnet. Eine Zusatzausstellung gibt es während des Regionalspiels Eintracht Trier gegen TSG Hoffenheim II am ersten März-Wochenende im Moselstadion. Der Vortrag von René Richtscheid findet am Donnerstag, 3. März, 19 Uhr, in der VHS statt. sbra

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