Bachelor und Master: Warum ein Professor sein Amt hinwirft

Trotz aller Kritik der Studenten: Nur wenige Professoren äußern sich öffentlich gegen die Umstellung der Universitätsabschlüsse auf Bachelor und Master. Marius Reiser ist einer von ihnen und wählte dafür einen extremen Schritt: Aus Protest gab er seine Professur auf. Am Donnerstag hat er in der Promotionsaula im Priesterseminar seine Gründe erläutert.

 „Die Gebildeten werden der Gesellschaft fehlen“: Marius Reiser äußert seine Kritik zum Bologna-Prozeß. TV-Foto: Anita Lozina

„Die Gebildeten werden der Gesellschaft fehlen“: Marius Reiser äußert seine Kritik zum Bologna-Prozeß. TV-Foto: Anita Lozina

Trier. (alo) Straffe Stundenpläne, knappe Zeitangaben und ein Abschluss, der umstritten ist: Die Umstellung der Universitätsabschlüsse auf Bachelor und Master im Rahmen des Bologna-Prozesses wurde für Marius Reiser, Professor für Neues Testament in Mainz, zu einem untragbaren Zustand. Er setzte ein Zeichen: Im April gab er seine Professur auf und wurde aus dem Beamtenverhältnis entlassen. Nun hat er am Donnerstag in der Promotionsaula des Priesterseminars bei einer Veranstaltung des Bernhard-Vogel-Kreises erläutert, wieso er sich zu diesem radikalen Schritt entschloss.

Reisers Urteil über die konsekutiven (also zweistufigen) Studiengänge fällt dabei vernichtend aus: Sie seien schlecht geplant und führen zu nicht weniger als dem Untergang der Universitäten, des wissenschaftlichen Arbeitens, der Gebildeten per se. Die einst autonomen Universitäten würden nun zu Unternehmen, denen Dilettanten Vorschriften machten. "Das ist doch verrückt! Es geht nur noch um Geld, Erfolg, Berufsausbildung - die Seite des Mammons."

Die Vorgabe, dass Studenten innerhalb von 14 Tagen in der Vorlesungszeit eine Hausarbeit erarbeiten müssen, brachte Reisers Fass zum Überlaufen. "Ein wissenschaftliches Arbeiten ist in so kurzer Zeit nicht beabsichtigt. Das ist nur noch eine größere Hausaufgabe." Die Kombination Wahrheitssuche und akademische Freiheit, die deutsche Universitäten bisher ausgezeichnet habe, gehöre so der Vergangenheit an. "Doch die Gebildeten werden der Gesellschaft fehlen, und zwar sehr."

Der Bologna-Prozess führe zum Chaos und ist zum Scheitern verurteilt, ist sich Reiser sicher. Die Leidtragenden sind mehrere Jahrgänge von Studenten, deren Bachelor-Abschlüsse auf dem Arbeitsplatz nichts taugten. "Ganz Deutschland wird so zum Versuchskaninchen gemacht."

Die Mehrheit der Professoren stimme ihm zu. "Doch sie gehorchen der Obrigkeit - offenbar bleiben gewisse Charakteristika eines Volksstammes immer erhalten."

Seine Professur niederzulegen sei für ihn die einzig mögliche Konsequenz gewesen, "denn alle Universitäten stellen um, man kann davor nicht fliehen." Ob seine Entscheidung etwas bewirken kann? "Das spielt bei einer Gewissensentscheidung keine Rolle. Aber es ist schon viel passiert." Trotzdem: Dieser Vortrag soll auch sein letzter über den Bologna-Prozess sein. "Den Kampf sollen jetzt andere weiterführen." Bekanntlich hat sich die Kultusministerkonferenz einer Reform der Studienbedingungen bereits angenommen (der TV berichtete).

ExtraZur Person: Marius Reiser, Jahrgang 1954, studierte in Tübingen und Paris Katholische Theologie und Klassische Philologie. Später erhielt er einen Ruf auf die Professur für Neues Testament an der Universität Mainz. Im Oktober 2008 kündigte er an, seinen Lehrstuhl aus Protest über die Umstellungen des Studienganges Katholische Theologie im Rahmen des Bologna-Prozesses zu räumen. Im Januar 2009 sorgte er mit dem Artikel "Universitätsreform. Warum ich meinen Lehrstuhl räume" in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung für deutschlandweites Aufsehen.

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