"Das demokratische Herz zerstören"

Kreisfreie Städte, Landkreise, Verbands- und Ortsgemeinden - braucht das Land so viele Ebenen? Alle Rathaus-Chefs aus Stadt und Kreis präsentieren ihre Vorstellungen über die Zukunft der Kommunen.

Trier. Triers Oberbürgermeister Klaus Jensen (SPD, legt als OB Wert auf das Attribut "unabhängig") betont: "Wir müssen heute durch Reformen Fortschritte für eine bürgernahe und effiziente Verwaltung erzielen. Wir sind in der Stadt und in der Region auf einem guten Weg, durch immer stärkere Kooperationen ökonomische Effekte und Qualitätssteigerungen zu erzielen." Bürgerkongresse, einer davon läuft heute in der Trierer Europahalle, hält Jensen für sinnvoll, weil sie dabei helfen, die "Betriebsblindheit der Profis" zu überwinden.Landrat Günther Schartz (CDU) ist sich sicher: "Landkreise sowie Verbands- und Ortsgemeinden wird es auch in zehn Jahren noch geben. Wir brauchen keine Gebietsreform auf Teufel komm raus, sondern eine vernünftige Kommunal-Strukturreform." Alle Ebenen vom Ministerium bis zum Ortsbeirat müssen "ohne Tabus" auf ihre Effektivität hin überprüft werden, so Schartz. Bürgerkongresse hält der Trier-Saarburger Landrat für "nicht verkehrt", allerdings müssen ihre Ergebnisse einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.Bernhard Busch (keine Partei), Bürgermeister der VG Ruwer, verteidigt den Status quo: "Im Bundes-Vergleich sind die rheinland-pfälzischen Verwaltungskosten günstig. Ich sehe keine Änderung des Systems." Entscheidungsbefugnisse sollen nah an die Bürger herangebracht werden.Werner Angsten (CDU) ist Bürgermeister von Kell am See, der kleinsten VG im Landkreis. "In dünn besiedelten Räumen mit großen Flächen ist die Einwohnerzahl nicht allein bestimmend. Jeder Mitbürger wird auch in zehn Jahren noch von der Bedeutung der kommunalen Familie überzeugt sein." Aber: Selbst für einen Behördenchef ist das immer größer werdende Dickicht von Zuständigkeiten undurchschaubar geworden. "Einer steht dem anderen auf den Füßen." Mehrfach-Zuständigkeiten müssen demnach weg."Der kommunale Aufbau hat sich bewährt", sagt Michael Hülpes (CDU), Bürgermeister der VG Hermeskeil. Aufgaben müssen im Interesse der Bürgernähe von oben nach unten zurückverlagert werden. So sollten auf Verbandsgemeinde-Ebene alle Zuständigkeiten angesiedelt werden, die direkte Bürgerkontakte erfordern.Wolfgang Reiland (CDU) ist Bürgermeister der VG Trier-Land. "Eine Gebietsreform ist in Anbetracht unserer ländlichen Struktur vor allem unter dem Gesichtspunkt einer Stärkung der Bürgernähe nicht sinnvoll." Der Schwerpunkt der Verwaltungsreform sollte in einer verstärkten Förderung interkommunaler Kooperationen liegen. "Gerade damit haben wir hier sehr gute Erfahrungen gemacht."Berthold Biwer (CDU), Bürgermeister der Verbandsgemeinde Schweich, will "möglichst leistungsfähige Einheiten schaffen, ohne bisher bewährte Strukturen unnötig zu zerschlagen". Der kommunale Finanzausgleich müsse allerdings komplett neu geordnet werden. Außerdem sei es eine wichtige Angelegenheit, "eine umfassende Kritik der öffentlichen Aufgaben durchzuführen und sie so bürgernah wie möglich erledigen zu lassen".Stichwort bürgernah: Wie wichtig sind die Bürgerkongresse? Biwer: "Ich halte es durchaus für sinnvoll, die Bürger an dem beabsichtigten Reformvorhaben teilnehmen zu lassen, insbesondere wenn es um die Strukturen vor Ort geht." Allerdings erwarten die Bürger dann auch, dass ihre Mitwirkung sich in der Reform niederschlägt und sie sich darin wiederfinden können. "Es gilt abzuwarten, ob die offene Diskussion konkrete Ergebnisse bringt." Winfried Manns (CDU), Bürgermeister der Stadt und VG Konz, zweifelt nicht an der Zukunft der Kreise, Verbands- und Ortsgemeinden. "Oder wollen wir das demokratische Herz dieses Landes zerstören?" Aber: "Es gibt zu viele Sonderbehörden in diesem Land. Wir brauchen grundsätzlich nur eine Entscheidungsebene. Die Gesetzesflut muss auf den Prüfstand. Wir müssen in der Verwaltung immer mehr auf Reglements und Standards achten, die flexible Entscheidungen vor Ort verhindern und oft höhere Kosten verursachen als notwendig."Leo Lauer (CDU), Bürgermeister der VG Saarburg, plädiert für einen "echten Bürokratieabbau". Ziel einer Verwaltungsreform müsse es sein, Verwaltungskompetenz orts- und bürgernah zu bündeln. Alle Abläufe sollen schneller und transparenter werden. "Aufgaben, die sich für eine Erfüllung vor Ort in besonderer Weise eignen, sollen von oben nach unten verlagert werden." Die Funktion als Dienstleister müsse ausgebaut werden. Meinung Da war doch mehr drin Es war natürlich nicht zu erwarten, dass der Landrat den Kreis oder einer der Bürgermeister die Verbandsgemeinden abmoderiert. Dennoch fehlt der Debatte um die Kommunalreform leider noch jegliche Radikalität und Aggressivität. Folgt man der Argumentation einiger Rathaus-Chefs, so ist der aktuelle Zustand schon eine Art Optimum. Doch das ist er nicht. Sie geben es ja auch selbst zu: viel zu viel Bürokratie, viel zu wenig Trans parenz und Bürgernähe. Diese Probleme werden wir nicht lösen können, ohne jemandem wehzutun. Winfried Manns und Werner Angsten gehören zu den mutigeren Verwaltungs-Bossen und lassen klar erkennen, dass sie auf einige Landesbehörden gut verzichten könnten. Doch insgesamt prägt größte Vorsicht die Argumentation der Bürgermeister. Die Bürgerkongresse werden hier sicher viel härter zuschlagen. Hoffentlich sind sie keine Alibi-Veranstaltungen ohne nachhaltige Wirkung. j.pistorius@volksfreund.de

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