"Das hatte etwas Unwirkliches"

Es ist eine geschichtsträchtige Zeit gewesen, der Oktober vor 20 Jahren. Die Bürger der DDR waren im Umbruch, auch in Triers Partnerstadt Weimar gingen sie auf die Straßen.

Trier. 185 Seiten dick war die Stasi-Akte von Thomas Zuche und der Trierer Arbeitsgemeinschaft Frieden (AGF). Zuche galt als "konspirative Kraft", seit er im Zuge der Städtepartnerschaft mit Weimar Kontakte zu DDR-Bürgerrechtlern hatte. Mit einer Postkarte, die er im August 1987 an Bürgerrechtler Ulrich Funke schickte, "begann meine Stasi-Karriere und die Freundschaft zum Denstedter Friedenskreis sowie dem Offenen Gesprächskreis Weimar", sagt der 50-Jährige. Mit beiden organisierte die AGF im Sommer 1989 ein "autonomes Friedensseminar" mit "heftiger" Stasi-Präsenz. "Die Weimarer haben es genossen, sich öffentlich mit uns zu zeigen."

Dann spitzte sich die politische Lage zu. In der heißen Phase im Herbst seien die Weimarer Freunde "ständig am Organisieren gewesen". Bürgerrechtler Rudolf Keßner, mit dem Zuche und die AGF in engem Kontakt stand, tauchte unter. "Er ist gewarnt worden, sich zu verstecken, weil er sonst verhaftet würde", erzählt Zuche. Keßner habe als einer der meistgefährdeten Personen gegolten. Die Situation in den BRD-Botschaften in Prag und Budapest im September 1989 hatte auch Auswirkungen auf die Partnerschaft zwischen Trier und Weimar. "Ich wurde am 11. September, einem Montagmorgen, aus einer Stadtvorstandssitzung gerufen", erinnert sich der damalige Trierer OB Helmut Schröer (66). "Der Weimarer OB Gerhard Baumgärtel rief an und beschwerte sich über die bundesdeutsche Berichterstattung." Dies widerspreche "dem Geist unserer Vereinbarung" (Aktennotiz von Baumgärtel). Drei geplante Veranstaltungen habe dieser abgesagt und damit die Städtepartnerschaft ausgesetzt.

Der Trierer Stadtrat antwortete mit einer Resolution zur Aufrechterhaltung der Beziehungen. Im Oktober seien dann die Flüchtlinge gekommen. "Fast jeden Tag haben wir welche im Rathaus empfangen", sagt Schröer.

Derweil gingen in Weimar Tausende Bürger auf die Straße, um - wie in Leipzig - friedlich zu demonstrieren. Die ersten von 14 Demos - in Weimar immer dienstags - am 24. und 31. Oktober standen unter keinem festen Motto. Forderungen nach freien Wahlen, für Reisefreiheit, aber auch zum Rücktritt ihres Bürgermeisters beherrschten die dritte Kundgebung. Bei der sechsten unter dem Motto "Trier-Weimar - Partnerschaft in Aktion" am 28. November gingen Vertreter der Trierer Stadtratsfraktionen mit: Christoph Böhr (CDU), Christoph Grimm (SPD), Herbert Sartoris (Grüne) und - damals für die FDP - Thomas Albrecht.

"Ich musste mir als Beamter die Genehmigung meines Dienstherren einholen", erinnert sich der 53-Jährige. Den Reisepass mit dem Visumstempel hat er heute noch. "Das war eine Besonderheit, dass wir einfach so dahin fahren durften. Kurz vorher wäre das undenkbar gewesen, wir wären direkt verhaftet worden." Eng sei es gewesen zu viert in dem kleinen Auto, mit dem sie über die alten Straßen fuhren. "Ich kann mich erinnern, wie heruntergekommen das war in Weimar, dreckig, verrußt." Auf dem Platz der Demokratie, wo die Demos ihren Ausgang nahmen, hätten sie ihre Solidarität bekundet. "Es waren unendlich viele Leute da gewesen", sagt Albrecht. "Vor so vielen hatte ich noch nie gesprochen." Jedes Wort hätten die Zehntausend mit Begeisterungsrufen aufgenommen. "Ich war so beeindruckt, dass ich gar nicht viel sagen konnte."

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