Denker mit menschlichem Makel

TRIER. "Karl Marx muss größter Trierer werden, weil er über seine weltgeschichtliche Bedeutung als Universalgelehrter hinaus seiner Geburtsstadt zu weltweiter Bekanntheit verholfen hat", sagt Professor Beatrice Bouvier vom Karl-Marx-Studienzentrum, die gleichzeitig Patin für den berühmten Gelehrten als "größter Trierer" ist. Marx' zweite Patin, Karin Kaltenkirchen vom Modehaus Marx, ergänzt: "Karl Marx als Persönlichkeit schafft es noch heute, massenhaft Menschen nach Trier zu locken."

Vor dem Geburtshaus von Karl Marx sind sie oft dutzendweise zu sehen: Besucher aus aller Herren Länder, die auf den Spuren des Begründers des Sozialismus wandeln und ihm, zumindest ideell, im Museum begegnen wollen. Dort wartet jedoch eher eine kleine Enttäuschung: Unzählige Tafeln mit Texten, millimeterklein geschrieben, bedecken die Wände, es gibt wenige Exponate aus dem Leben des Wissenschaftlers, und auch die Reihenfolge der Texte scheint nicht immer logisch.Neue Präsentation im nächsten Jahr

"Derzeit ist die Ausstellung nicht viel mehr als ein an die Wand genageltes Buch", räumt Beatrice Bouvier, Leiterin des Karl-Marx-Studienzentrums, ein. Doch das wird sich ändern. Im Sommer des kommenden Jahres soll die Frischzellenkur beendet sein. "Es wird eine modernere und besser lesbare Präsentation geben, mit akustischen Elementen und Computerpräsentationen. Außerdem wird die Wirkungsgeschichte berücksichtigt - momentan endet die Ausstellung mit dem Tod von Karl Marx", sagt die Historikerin. Mehr Gegenstände aus dem Alltagsleben des Gelehrten werden aber trotzdem nicht zu sehen sein: Marx starb im Exil, und seine Anhänger interessierten sich mehr für den schriftlichen Nachlass als für Stühle, Betten oder gar Nachttöpfe. Das tägliche Leben, Liebe und Krankheit: All' diese Dinge treten weit hinter dem zurück, was Karl Marx der Nachwelt sagt. "Das Kapital", das "Kommunistische Manifest", die "Kritik der politischen Ökonomie" und andere Schriften sind Werke, die als Klassiker in Bibliotheken stehen, aber auch die Grundlage gebildet haben für Ideologien und politische Bewegungen, die nicht nur Gutes über die Menschen gebracht haben. Das liege nicht unbedingt am Marx'schen Gedankengut selbst, sagt Beatrice Bouvier. Um der besseren Verständlichkeit willen habe beispielsweise sein Freund Friedrich Engels das "Kapital" sprachlich vereinfacht und zwei Bände davon selbst geschrieben. Als Kaufmann brachte er Marx außerdem überhaupt erst darauf, sich mit der Ökonomie zu beschäftigen. Engels war der engste, wenn nicht der einzige Freund von Karl Marx. In seinem Umgang mit anderen Menschen war Marx wohl nicht einfach. "Natürlich heroisieren ihn Zeitgenossen in ihren Beschreibungen. Doch er muss sehr von sich überzeugt, intolerant und maßlos gewesen sein", sagt Beatrice Bouvier. Seine Frau Jenny, geborene von Westphalen, spielte von Kindesbeinen an eine große Rolle im Leben von Karl Marx. Trotzdem musste sie sieben Jahre warten, bis er sie nach der Verlobung endlich heiratete, und auch in der Ehe hatte sie es nicht leicht: Während er sich in die Studien vertiefte, musste sie mit wenig Geld haushalten und war oft krank. Vier von sieben Kindern, die sie bekam, starben. Generell kam der Anstoß, sich mit sozialökonomischem Gedankengut zu beschäftigen, für den 1835 in Trier geborenen Karl Marx auch aus der katastrophalen wirtschaftlichen Lage seiner Geburtsstadt. Sein Vater Heinrich Marx engagierte sich als Sozialanwalt für verarmte Bürger. Er starb früh, und Karl soll immer ein Bild von ihm bei sich getragen haben. Nach dem Abitur verließ er Trier. "Als junger Mann genoss er das Studienleben mit Sauftouren, Arbeits- und anderen Exzessen", sagt Beatrice Bouvier. Er wollte alles wissen und lernen und promovierte in Jena in Philosophie. Zudem war er ein brillanter Journalist und Publizist. Mit Engels arbeitete er an den Französischen Jahrbüchern und dem "Vorwärts!". Er wurde 1845 nach Paris ausgewiesen. 1847 trat er dem Bund der Kommunisten bei und verfasste 1848 das Manifest der Partei. Der erste Teil von "Das Kapital" erschien 1867.Handelsunternehmen mit gleichem Namen

Karl Marx lebte unter anderem in Paris, Brüssel, Köln und London. Auch er hatte, wie seine Frau, unter zahlreichen Krankheiten zu leiden und überlebte seine Frau nur um etwas mehr als ein Jahr. Am 14. März 1883 starb er in London. In Trier erinnern sein Geburtshaus in der Brückenstraße, das Studienzentrum in der Johannisstraße und sein Wohnhaus in der Simeonstraße an ihn. "Unser Modehaus hat vom Stammbaum her nichts mit der Familie von Karl Marx zu tun", sagt Geschäftsführerin des Modehauses Marx, Karin Kaltenkirchen. Trotzdem oder gerade weil viele Touristen immer wieder diese Frage stellen, setzt sie sich immer wieder mit Karl Marx auseinander, legt Informationen über das Studienhaus im Geschäft aus und ist die zweite Patin des "Größter Trierer"-Kandidaten. "Ist doch lustig", sagt sie: "Ausgerechnet ein Handelsunternehmen hat den gleichen Namen wie der Begründer des Kommunismus."

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