Der Überlebenskampf hinter der Idylle

Von seinem Großvater und Vater hat Martin Bous die Liebe zur Schäferei geerbt. Seit über 30 Jahren ist er Chef über seine Herde. Jetzt steht er erstmals vor der Frage, wie lange er noch mit und von der Schafhaltung leben kann.

 Wenn Schäfer Martin Bous sein „Kuummett!“ ruft, folgen über 600 Schafe. TV-Foto: Christine Cüppers

Wenn Schäfer Martin Bous sein „Kuummett!“ ruft, folgen über 600 Schafe. TV-Foto: Christine Cüppers

Trier/Hermeskeil. "Kuummett!" - So oder ähnlich klingt es, was Martin Bous ruft. Gestützt auf seinen Hirtenstab muss er sich gar nicht anstrengen, braucht nicht zu brüllen, da kommt schon Bewegung in die verstreute Schafherde. Neugierige Blicke. Die ersten Tiere drehen sich in Richtung ihres "Chefs", trotten gemütlich los.Und plötzlich stehen sie alle um ihn herum: 600 Mutterschafe, zwölf Böcke und einige Lämmchen, das jüngste gerade mal rund zwölf Stunden alt. Mit einem Lächeln im Gesicht fragt der 58-Jährige nicht ohne Stolz: "Na, hören Ihre Kinder auch so gut?"Vier Wanderschäfer in der Umgebung

Idylle pur vermittelt das Bild auf dem Trierer Grüneberg. In aller Ruhe erzählt Martin Bous über seinen alljährlichen Wanderweg im Frühjahr, wenn er im weiten Bogen durch das Trierer Land zieht. Über Schweich, Trierweiler, Biewer bewegt sich die Schafherde entlang der grünenden Wiesen nach Korlingen, Morscheid, Bonerath zur Sommerweide nach Hermeskeil.Weil Schäfer Bous die Schafsböcke ständig bei der Herde lässt, kommen immer wieder Lämmer auf die Welt. Die Kleinen bleiben fünf bis sechs Monate bei den Müttern, bevor sie zum Schlachter gebracht werden. Martin Bous ist einer von vier Wanderschäfern in der Umgebung. Seine Kollegen sind in Thalfang, Malborn und im Saarland zu finden. Sie alle stehen mehr denn je vor einem großen Problem: Die Wanderschäferei wird finanziell immer aufwändiger bei stetig schmäleren Einnahmemöglichkeiten.An dieser Stelle der Unterhaltung wird der ruhige Mann zunehmend aufgebracht. Er sprüht vor Temperament, wenn er auf die Politik, die Vorgaben aus Brüssel und die Bestimmungen rund um sein Gewerbe zu sprechen kommt. Beispiel Ohrmarken: Seit etwa vier Jahren müssen alle Schafe eine Ohrmarke mit der Betriebsnummer erhalten. Neuerdings ist eine zweite Marke zur Einzelkennzeichnung im Gespräch. "Für meine Begriffe ist das ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz", schimpft Bous unter Bezug auf die Probleme der Tiere mit der Prozedur. Entzündungen, ausgerissene Marken beim Hängenbleiben, aufgeschlitzte und eitrige Ohren - "den Schafen werden vorsätzlich unnötige Schmerzen zugefügt". Aber wenn der Schäfer sich weigert, die Ohrmarken anzubringen, werden seine Zuschüsse gekürzt. Das blüht ihm auch, wenn er sich nicht an die Vorgaben über die zeitliche Aufenthaltsdauer auf den Weideflächen hält. Seit kurzem gibt es ein Sonderprogramm zur Bezuschussung von Landwirten. "Grundsätzlich in Ordnung", nennt Martin Bous das, wäre da nicht die Vorgabe, dass Wanderschäfer bestimmte Flächen nur befristet oder gar nicht mehr benutzen dürfen. "Das bedeutet, dass meiner Herde gute Futtergrundlagen entzogen werden." Als Alternative sei im Gespräch, den Schäfern die Nutzung brachliegender Weinbergsflächen anzubieten. Ein Hohn in den Augen von Schäfer Bous. Schlechte Bodenbeschaffenheit, zu wenig zusammen- hängende Fläche und unüberbrückbare Hürden in Gestalt von Weinbergs-Mauern nennt er als Gründe seiner Ablehnung. "Solche Vorschläge kann man nur machen und annehmen, wenn einem die Kreatur Schaf völlig egal ist. Für mich, der ich mit Leib und Seele Schäfer bin, ist das alles unglaublich und nicht akzeptabel", empört sich der Hirte über das Gesamtpaket der Richtlinien, die von Leuten gemacht werden, "die nicht die geringste Ahnung von der Praxis haben". Wenn zudem noch freilaufende Hunde, aber auch Krähen frisch geborene Lämmer "killen" und so für herbe Verluste sorgen, dann wird die Schäferei zu einem nicht mehr finanzierbaren Geschäft. Da Martin Bous außerdem um seine Sommerweide bangen muss, weiß er nicht, wie lange er sich das Erbe seines Vaters und Großvaters noch leisten kann. "Das muss finanziell und von den Flächen her machbar sein", sagt er, schaut hinüber zu seinen Schafen und schickt mit einem energischen "Zera, raus!" einen seiner drei Hütehunde los, um vier Tiere zurückzutreiben, die zu weit von der Herde weggelaufen sind. Da ist sie wieder, die Idylle, hinter der sich jedoch beim genaueren Hinschauen ein ernsthafter Überlebenskampf verbirgt.

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