Der Bauboom nach dem Mauerfall

TRIER-SÜD. So nah an der Altstadt und dennoch ein relativ junges Viertel: Noch vor gut 125 Jahren präsentierte sich das heutige Trier-Süd als Agrarlandschaft mit einigen Dörfern und ausgedehnten Gärten und Feldern. Dann kam der große Bauboom.

 Steht komplett unter Denkmalschutz: die Eberhardstraße (hier der zwischen 1901 und 1908 gebaute südliche Abschnitt). Das Gebäude rechts wird bis Ende 2004 umfassend saniert.Foto: Roland Morgen

Steht komplett unter Denkmalschutz: die Eberhardstraße (hier der zwischen 1901 und 1908 gebaute südliche Abschnitt). Das Gebäude rechts wird bis Ende 2004 umfassend saniert.Foto: Roland Morgen

Die Geburtsstunde der Südstadt schlug anno 1875. Der preußische Staat hob die Mahl- und Schlachtsteuer auf und machte damit die Stadtmauern und -tore endgültig überflüssig. Die Befestigungen aus dem Mittelalter dienten längst nicht mehr der militärischen Verteidigung, sondern der Abwehr von Schmugglern. Die Abschaffung der Abgaben auf Getreideprodukte und Fleisch, die vor allem die ärmeren Schichten belasteten, machte den Weg frei für die Ausdehnung Triers. Die Trierer schienen den alten Türmen und Mauern keine Tränen nachzuweinen. Binnen weniger Jahre verschwand die steinerne Steuergrenze fast komplett von der Bildfläche; das Neutor, das Südtor der Mittelalter-Stadtmauer, fiel 1877 der Spitzhacke zum Opfer. Die 1888 eingemeindeten südlichen Vorstadt-Dörfer Löwenbrücken und St. Barbara boten reichlich Bauland-Reserven. Im nächsten Schritt 1912 verleibte sich die wachsende Stadt auch St. Matthias und St. Medard ein. Aus diesem Quartett ging der heutige Stadtteil Trier-Süd hervor. Auch Speestraße soll Denkmalzone werden

Der Bauboom des ausgehenden 19. Jahrhunderts veränderte das Gesicht von Löwenbrücken (hier überquerte anno 1049 Papst Leo IX. auf einer eigens für ihn errichteten Brücke den Altbach) und Barbeln (benannt nach dem mittelalterlichen Dominikanerinnenkloster beim Moselufer) von Grund auf. Geschäftstüchtige Bauunternehmer wie Matthias Cartus und August Wolf machten sich die enorme Nachfrage nach hochwertigem Wohnraum zu Nutze und stampften ein komplett neues Viertel aus dem zuvor landwirtschaftlich genutzten Boden. In aller Regel bauten sie auf eigene Rechnung und verkauften oder vermieteten dann an zahlungskräftige Kundschaft. Im Gegensatz zu vielen heutigen Berufskollegen lieferten die Baulöwen der vorletzten Jahrhundertwende stabile Qualität und stilistische Vielfalt ab. Beispiel Eberhardstraße. Diesen historischen Straßenzug hat die Stadt vor vier Jahren zur förmlich geschützten Denkmalzone erklärt. Der komplette nördlichen Teil zwischen Gilbertstraße und Südallee geht auf das Konto von Bauunternehmer Josef Mendgen. Dieser Abschnitt mit seinen in Gruppen zusammengefassten Ein- und Zweifamilienhäusern ist die einzige Privatstraße der Stadterweiterung vor 1900. In der zwischen 1901 und 1908 öffentlich angelegten Südhälfte dominieren dreigeschossige Gebäude auf kleinerer Grundfläche. Alles in allem ein Ensemble "von besonderer historischer Bedeutung für die Stadtgeschichte" und ein "Zeugnis des geistigen und künstlerischen Schaffens sowie des handwerklichen Wirkens", heißt es in der Begründung der Ausweisung als Denkmalzone. Sinn und Zweck ist die Erhaltung des ansehnlichen Straßenzuges. Alle künftigen Um- oder Ausbauprojekte bedürfen deshalb des Segens der Denkmalpflege. "Wir versuchen dabei so unbürokratisch wie möglich zu Werke zu gehen. Denkmalpflege geht nur mit und nicht gegen den Eigentümer", betont Amtschefin Angelika Meyer. Matthias Mohr bestätigt die "vorbildliche Arbeit" der Trierer Behörde. Der in Diensten der Uni Dresden stehende Stadtplaner und Architekturprofessor aus Beilingen (Eifel) hat sich einen Herzenswunsch erfüllt und das marode Eckhaus Eberhardstraße 26/28 gekauft, um es anspruchsvoll zu sanieren. "Mit meiner Entwurfsskizze lief ich im Rathaus offene Türen ein. Ich wurde sehr engagiert beraten", lobt der 60-Jährige. Bis Ende 2004 baut Mohr 17 Wohnungen und vier Appartements, schließt die Baulücke und verspricht eine an den Ursprungsplan von 1901 angelehnte "Top-Fassade, die ein Gewinn für die ohnehin schöne Straße sein wird." Mohr, der sich sein Projekt knapp drei Millionen Euro kosten lässt, sieht sich in seinen Planungen bestätigt: "Es herrscht riesiges Interesse. Der Großteil der Wohnungen ist bereits verkauft". Derweil brütet die Stadt über Plänen, 38 weiteren Südstadt-Häusern besonderen Schutz zu gewähren: Stimmt der Stadtrat zu, kommt als nächstes die "Denkmalzone Spee-/Gilbertstraße". "Wie die Eberhardstraße präsentieren sich die Speestraße als schönes, einheitliches Ensemble, das nach einheitlichen Kriterien entstanden ist", erläutert Denkmalamts-Mitarbeiter Peter Ahlhelm. Dennoch gibt es deutliche Unterschiede: Vorgärten und villenartige Bebauung kennzeichnen Spee- und südliche Gilbertstraße als besonders nobles Nobel-Wohngebiet. Hier setzten sich vor rund 100 Jahren vor allem die Bauunternehmer Stephan Weber und Nikolaus Weber (der Großvater von TV -Chefredakteur Walter W. Weber) architektonische Denkmäler. Ein prominentes "Opfer" forderte der Bauboom in der Südstadt damals übrigens auch. Der Altbach war der Stadterweiterung im Weg und wurde eingewölbt und überbaut. Morgen in unserer Trier-Süd-Serie: Wie der Verein Südpol das Jugendproblem in den Griff zu bekommen versucht.

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