Der Europa-Idealist

Ein langer und selten geradliniger Weg charakterisiert die Entwicklung des vereinten Europas von der Montanunion bis zur heutigen EU. Aber wo genau steht die Union heute? Dieser Frage ging der ehemalige rheinland-pfälzische Ministerpräsident und frühere Trierer Oberbürgermeister Carl-Ludwig Wagner vor den Teilnehmern des internationalen Ferienkurses "Deutschland und seine Nachbarn" an der Universität Trier nach.

 Quo Vadis, Europäische Union? An der Universität Trier referierte der ehemalige Ministerpräsident des Landes Rheinland Pfalz, Carl-Ludwig Wagner, über die Rolle der EU in der Welt. TV-Foto: Kim-Björn Becker

Quo Vadis, Europäische Union? An der Universität Trier referierte der ehemalige Ministerpräsident des Landes Rheinland Pfalz, Carl-Ludwig Wagner, über die Rolle der EU in der Welt. TV-Foto: Kim-Björn Becker

Trier. Überregulierung, Bürokratie, Intransparenz: Das Ansehen der Europäischen Union hat in den vergangenen Jahren zusehends gelitten. Dass der europäische Einigungsprozess im Grunde eine Erfolgsgeschichte ist, wurde in Carl-Ludwig Wagners Vortrag über die Lage der EU deutlich. Dabei wagte der frühere Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz in seinen Ausführungen die Gratwanderung zwischen Euroskepsis und Integrationsoptimismus: Wagner würdigte die europäische Einigung - die mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl bereits 1951 ihren Anfang nahm - als einen weltpolitisch bedeutsamen Prozess, der in seiner Dynamik aber auch vor institutionellen Krisen nicht verschont blieb. Die Übertragung der wirtschaftspolitischen Integrationsleistung der sechs Gründungsmitglieder - darunter auch Deutschland und Frankreich - auf das Konzept der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft scheiterte 1954 am Widerstand der französischen Nationalversammlung. Ebenso führte die in mehreren Erweiterungsrunden vorgenommene Integration weiterer europäischer Staaten zur sich immer drängender stellenden Frage nach neuen Abstimmungsregeln im Europäischen Rat. "Die institutionelle Struktur hat anfänglich sehr gut funktioniert, aber je mehr Mitglieder in den Gremien zusammenkamen, desto schwieriger wurde es, Entscheidungen nach dem Prinzip der Einstimmigkeit zu fällen", sagte Wagner. Gleichzeitig erweiterten sich die Brüsseler Kompetenzen stetig: Wurde mit den Römischen Verträgen im Jahr 1957 der Grundstein für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gelegt, bildete sich mit dem Fusionsvertrag 1967 bereits die Europäische Gemeinschaft. Mit dem 1992 unterzeichneten Vertrag von Maastricht entstand die Europäische Union, die neben den wirtschaftspolitischen Kompetenzen der EG auch über eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und die Zusammenarbeit in den Bereichen Inneres und Justiz (ZJI) verfügt. Institutionelle Krise zeigt sich in der aktuellen Debatte

"Die EG hat viele Krisen erlebt, aber schließlich hat sie auch immer wieder herausgefunden", wußte Wagner aus eigener Erfahrung zu berichten. Dies spielt vor allem für die aktuelle Debatte um die Reform der Abstimmungsverfahren eine Rolle: "Die Verträge von Maastricht 1992 und Amsterdam 1997 sollten die Handlungsfähigkeit wieder herstellen, doch schien auch mit dem Vertrag von Nizza 2003 noch keine abschließende Lösung in Sicht - schließlich wurde auch auf der Brüsseler Konferenz vor einigen Wochen noch immer hart über eine Reform des Abstimmungswesens verhandelt." Dabei sollte aber vor allem die Frage nach dem Sinn eines vereinten Europas nicht außer Acht gelassen werden - und so zeigt sich in Carl-Ludwig Wagner fast schon ein Europa-Idealist, der zwar konkrete normative Zielsetzungen auszumachen vermag, sich dabei aber grundsätzlich am Gratmesser des Machbaren orientiert:"Die Union bringt freilich wirtschaftspolitische Vorteile für die Mitglieder - nur ein großer Wirtschaftsraum kann sich in der Welt behaupten. Außerdem wird Europa in der Welt gebraucht: Für das Wohlergehen der Menschen und den Weltfrieden kann die Europäische Union einen großen Beitrag in der Welt leisten. Doch das ist natürlich nur möglich, wenn die Union auch in Zukunft handlungsfähig bleibt."

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