Der Markt kennt kein Erbarmen

TRIER. Leerstand - ein Schreckenswort für den Einzelhandel. Verklebte Fassaden und leere Geschäfte sind keine Visitenkarte. Doch der Kampf gegen die "Zahnlücken" in den City-Einkaufsstraßen ist schwer, wie Teil 5 unserer Einzelhandelsserie zeigt.

Leise bröckelt der Putz an den Fassaden des ehemaligen Bekleidungsgeschäfts vor sich hin. Ganze Klinkerplatten der Verkleidung sind abgeplatzt - wo einst gediegene Herrenmode verkauft wurde, macht sich der Charme eines östlichen Plattenbau-Viertels breit. Besagte Szene spielt freilich nicht in Frankfurt/Oder, sondern mitten in der Trierer Innenstadt. Die Konstantinstraße zwischen Fußgängerzone und Basilika ist traditionell eine Domäne für gehobene Verkaufskultur. Aber mittendrin klafft eine Lücke mit wachsender Tendenz. Nicht nur das ehemalige Bekleidungshaus "Hubertus" steht leer, sondern auch das benachbarte "Tom und Tina". Wer aus der Innenstadt kommt, für den ist bei C&A die Einkaufs-Welt optisch zu Ende. "Da kommt ja nix mehr", hat Karin Kaltenkirchen neulich zufällig bei Passanten gehört. Sie konnte das Gegenteil beweisen, gehört ihr doch das Modehaus Marx am oberen Ende der Straße. Für die Kundenströme, sagen Experten, spielt ein möglichst zusammenhängendes, ansprechend gestaltetes Schaufenster-Bild eine wichtige Rolle. "Wo es anfängt zu bröckeln, gibt es die Tendenz zu weiteren Schließungen", glaubt der Vorsitzende der City-Initiative, Hans P. Schlechtriemen - ein Vorgang, den er "Broken-Window-Effekt" nennt. Aber Leerstand ist nicht gleich Leerstand. Gerade die für den Normalbürger auffälligsten Brachen, zum Beispiel rund um den Hauptmarkt, haben nichts damit zu tun, dass die Flächen nicht vermarktbar wären. "In Trierer 1a-Lagen ist jeder Verkaufsraum innerhalb kurzer Frist zu vermieten", sagt Geschäftsführer von "Haus und Grund", Michael Keussen. Trotz Mieten, die schon mal 100 Euro pro Quadratmeter betragen. Wenn es trotzdem Leerstand gebe, dann habe das "vielleicht mit Spekulation zu tun".Riesige Kluft zwischen Top- und Randlagen

Außerhalb der Top-Lagen (siehe Hintergrund) sieht das anders aus. Trotz gemäßigter Preise haben viele Vermieter Mühe, ihre Flächen los zu werden. In der Stresemannstraße stehen zwei Ladenlokale leer, selbst in der Palast- und der Fleischstraße klaffen einzelne Lücken. Auch im Jakobsspitälchen, wo man beim Ausbau der Fußgängerzone auf halbem Weg stehen geblieben ist, ist reichlich Platz für gewerbliche Aktivitäten - von den Lagen außerhalb des Alleenrings gar nicht zu reden. Dass zu hohe Mieten am Leerstand schuld seien, hält Michael Keussen für "Quatsch". Wie überall bestimme "die Nachfrage das Angebot", betont der Eigentümer-Vertreter. Und da gebe es in einer freien Marktwirtschaft "keine Chance, Einfluss zu nehmen". Konsequenterweise steht Keussen auch dem von Wirtschaftsdezernentin Christiane Horsch propagierten "Leerstands-Management" skeptisch gegenüber. Horsch will mit der City-Initiative bei Leerständen versuchen, in den Ladenlokalen für optische Aufbesserungen zu sorgen, zum Beispiel durch Ausstellungen und Kultur-Aktionen. Entsprechende Konzepte hat ein FH-Student entwickelt, erste Versuche verliefen erfolgreich. City-Initiativler Schlechtriemen will in Zusammenarbeit mit Europäischer Kunstakademie und Hochschulen weitere Projekte auf den Weg bringen - zurzeit scheint es allerdings nicht recht voran zu gehen. Vielleicht auch deshalb, so mutmaßt zumindest Michael Keussen, weil manche Vermieter fürchten, ein schön dekorierter Laden könne potenziellen Mietern nicht mehr als Leerstand ins Auge fallen. Eine andere Art von ärgerlichem Leerstand findet meist oberhalb des Kunden-Blickwinkels statt: die absichtliche Nicht-Vermietung von Wohnraum über Ladenlokalen, um im Erdgeschoss den Platz für Flur, Treppenhaus und Durchgänge zu sparen. "Wir haben schon rund 70 Fälle", ärgert sich Oberbürgermeister Helmut Schröer, "das trägt zu einer Entvölkerung der Innenstadt bei". Aber auch hier verweist Haus-und-Grund-Mann Keussen auf die erbarmungslosen Gesetze des Marktes. Bei bis zu 100 Euro pro Quadratmeter Verkaufsfläche sei die Rechnung einfach: "Wenn ich 20 Quadratmeter im Erdgeschoss opfern muss, um die oberen Etagen zu erschließen, dann kann ich das durch die Wohnungsmiete niemals hereinholen."

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