Der Patient auf der Anklagebank

Ein Mann begeht eine lange Serie von Straftaten innerhalb kurzer Zeit - aber er ist psychisch krank. Ein Prozess vor der Ersten Großen Strafkammer des Trierer Landgerichts wird zum Lehrstück über einen der sensibelsten und schwierigsten Bestandteile des Strafrechts.

Trier. Martin M. (Name von der Redaktion geändert) sitzt auf der Anklagebank zwischen seinem Anwalt und seinem Betreuer. Er spricht offen über die Dinge, die er zwischen September 2006 und Februar 2007 getan hat. Die Liste dieser Vergehen ist so lang, dass der Staatsanwalt fast 20 Minuten braucht, sie komplett vorzulesen.

Gewalt-Delikte gehören nicht dazu. Martin M. hat niemanden geschlagen, beraubt, verletzt. Der heute 44-Jährige ließ stattdessen Gastronomen und Händler in Trier verzweifeln. Er hat Gaststätten und Geschäfte in der Innenstadt besucht und dort Waren mitgenommen, ohne sie zu bezahlen. Hausverbote hat er ignoriert und kam immer wieder. In wenigen Fällen hat er auch randaliert, einmal landete ein Whisky-Glas an der Wand einer Trierer Kneipe.

Hausfriedensbruch in 31 Fällen, sechsmal Sachbeschädigung, fünfmal Betrug, viermal Diebstahl, zweimal Missbrauch von Notrufen wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor. Einmal rangelte er mit Polizisten und addierte damit Beleidigung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Beleidigung zu seiner Liste.

Martin M. beantwortet bereitwillig jede Frage der vorsitzenden Richterin Petra Schmitz, deren ruhige und gelegentlich von leiser Heiterkeit unterstrichene Art der Befragung ihm zu helfen scheint. "Ich weiß nicht mehr alles", sagt er. Alles wohl nicht, aber an viele seiner Vergehen kann er sich noch genau erinnern und gibt sich große Mühe, das Verfahren voranzubringen. Mimik, Gestik und Sprechweise sind völlig normal, niemand sieht ihm seine Erkrankung an.

Doch Martin M. ist krank, sehr krank. Das weiß er auch. "Ich habe immer wieder Stimmen gehört", erzählt der geschiedene Vater eines erwachsenen Sohnes. "Ich war dann in einem anderen Film und dachte, ich schwebe in einem Raumschiff über der Erde." Einmal stieg Martin M. einen Kanalschacht hinab. Weil er "die Stadt Trier retten wollte."

Die Strafkammer hat deshalb in diesem Prozess nicht die Aufgabe, einen Täter zu bestrafen, sondern auf die durch eine klar diagnostizierte Krankheit verursachten Ausfälle angemessen zu reagieren. Der Prozess des Martin M. ist kein Straf-, sondern ein Sicherungsverfahren, denn der gelernte Metzger und frühere schwere Alkoholiker ist schuldunfähig.

Das auf drei Tage angelegte Verfahren, in dem neben einer riesigen Zeugenliste auch Spezialisten wie Oberarzt Oliver Hamm von der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie des Mutterhauses gehört werden, geht es zentral um die Frage, wie die Hilfe für einen kranken Menschen mit dem Schutz der Allgemeinheit vor den Taten, die er aufgrund seiner Erkrankung begeht, verbunden werden kann. Momentan scheint Martin M. sich auf einem guten Weg zu befinden. "Ich habe einen Job als Küchenhilfe", erzählt er dem Gericht. Sein Betreuer Manfred Haas lobt ihn. "Ich habe sehr wenig Arbeit mit ihm." Martin M. lebt im Benedikt-Labre-Haus, und geht seinem 400-Euro-Job als Küchenhilfe nach. Stimmen hat er "schon länger nicht mehr gehört". Zwei weitere Prozesstage sind für den 13. und 14. August angesetzt. Schuldunfähigkeit Paragraf 20 des Strafgesetzbuchs regelt die Schuldunfähigkeit: "Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln." Ein schuldunfähiger Täter kann nicht bestraft werden. Das Gericht kann ihn aber im Maßregelvollzug - psychiatrisch-forensische Fachkrankenhäuser oder Abteilungen an psychiatrischen Kliniken - unterbringen. (jp)

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