Der TV gehört zu ihrem Leben

RUWER. Nachts, wenn die meisten noch schlafen, beginnt für Nicole Sachreiter die Arbeit. Damit die TV -Leser pünktlich ihre Zeitung lesen können, beginnt ihr Arbeitstag um vier Uhr morgens. Und das seit fast einem Vierteljahrhundert.

 Persönlich nehmen nur wenige ihre Zeitung von Zustellerin Nicole Sachreiter entgegen - oft ist der Haushund der Empfänger.Foto: Katja Krämer

Persönlich nehmen nur wenige ihre Zeitung von Zustellerin Nicole Sachreiter entgegen - oft ist der Haushund der Empfänger.Foto: Katja Krämer

In aller Herrgottsfrühe muss die 60-jährige Nicole Sachreiter raus aus den Federn. Der Zeitungslieferant hat die 270 druckfrischen TV -Exemplare bereits an ihr Auto gelegt. Mit dem Auto fährt sie von Straße zu Straße, denn ohne fahrbaren Untersatz könnte sie den teilweise sehr steilen und langen Weg nicht schaffen. "Als meine drei Kinder noch klein waren habe ich mich zu diesem Job entschlossen", sagt die aus Paris stammende Frau. So konnte sie Familie und Arbeit gut unter einen Hut bringen. Ans frühe Aufstehen hat sich Nicole Sachreiter längst gewöhnt. Drei bis vier Stunden war sie früher täglich unterwegs. Seit ein paar Monaten hat sie Unterstützung von ihrem Mann, der seit August vergangenen Jahres Rentner ist. Beide schaffen die allmorgendliche Tour jetzt in eineinhalb Stunden. "Pünktlichkeit ist das Allerwichtigste", sagt Sachreiter, denn die TV -Leser erwarten sehnsüchtig ihre Zeitung. Und auf die sympathische Frau ist absoluter Verlass. Nur ein einziges Mal hat sie in all den Jahren verschlafen.Drei Knochenbrüche durch Glatteis

Im Sommer macht sie ihren Job als Zustellerin besonders gerne. Dann bekommt sie jeden Tag mit, wie das Leben langsam erwacht. Fast romantisch findet sie, wenn die Vögel zu zwitschern beginnen und die Häuser in den elf zu beliefernden Straßen langsam wieder Formen annehmen. "Das Austragen der Zeitung hält jung und fit. Es ist ein guter Morgensport", schmunzelt die dreifache Mutter. "Aber es ist kein Spaziergang, sondern harte Arbeit", fügt sie schnell hinzu. Besonders im Winter hat sie mit dem rauen, kalten Wetter zu kämpfen. Und Tage, an denen es in Strömen regnet, sind ihr verhasst. Drei Knochenbrüche hat sie sich im Dunkeln auf Glatteis in den Jahren als Zustellerin zugezogen. "Der Job ist nicht ganz ungefährlich", sagt Nicole Sachreiter. Ein bisschen unangenehm war auch die Zeit, als sie noch Monat für Monat das Zeitungsgeld einsammeln musste. "Manchen Lesern musste ich regelrecht hinterherlaufen. Sie wollten zwar die Zeitung lesen, aber nicht bezahlen", erinnert sich die ehemalige Sekretärin. Doch das ist Vergangenheit. Auf der einen Seite ist sie froh über das Bankeinzugsverfahren, aber andererseits vermisst sie den Kontakt zu den Leuten. Nur selten begegnet ihr jemand in den frühen Morgenstunden: Manche Frühaufsteher nehmen die Zeitung persönlich in Empfang und ein paar Hunde warten schon winselnd auf die "Zeitungsfrau", um die Tageszeitung zu ihrem Herrchen zu bringen. Wenn für viele der Tag erst beginnt, hat Nicole Sachreiter Feierabend. Bevor sie sich nach der "Nachtschicht" wieder ins Bett legt, liest sie die Neuigkeiten des Tages, um beim Kaffeekränzchen oder in der Gymnastikgruppe mitreden zu können. "Nächstes Jahr habe ich 25-jähriges Jubiläum", sagt die 60-Jährige, die in ein paar Monaten zum ersten Mal Großmutter wird. "Darauf freue ich mich."

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