"Der muss einen Genfehler haben"

TRIER. Mit dem Tabuthema sexueller Missbrauch von Kindern durch Kinder und Jugendliche befasst sich eine dreiteilige TV -Serie. Im zweiten Teil geht es heute um die Lebensgeschichte von Kevin. Sie steht beispielhaft für viele junge Menschen, die sexuell missbrauchen. Was sie anderen antun, haben sie oft schon selbst durchlebt.

 Wie alles begann: Jugendliche Sexualstraftäter wie Kevin wurden häufig selbst missbraucht.Foto: TV -Archiv/Gabi Vogelsberg

Wie alles begann: Jugendliche Sexualstraftäter wie Kevin wurden häufig selbst missbraucht.Foto: TV -Archiv/Gabi Vogelsberg

AuchKevin L. (Name geändert) war Opfer, bevor er zum Täter wurde.Seine Mutter hatte kaum Zeit für ihn, und war sie einmal da,fasste sie Kevin auch nicht gerade mit Samthandschuhen an. Den Vater bekam der Junge selten zu sehen, denn der lebte nicht bei der Familie. Auch wenn Kevin eigentlich ein netter Junge war, so bekam er doch gelegentlich Wutausbrüche und schlug unkontrolliert auf andere Kinder ein.

Der Nachbar war der Täter

Zwar ist Kevin nie besonders behütet aufgewachsen, doch endgültig aus seiner Kindheit gerissen wird er im Alter von neun Jahren. Ein älterer Mann aus der Nachbarschaft lädt häufiger Jungen ein und gibt den Müttern vor, sich um die Kinder zu kümmern. Was wie eine nette Geste aussieht, ist purer Eigennutz. Der Mann missbraucht die Jungen sexuell. Kevin ist eines seiner Opfer.

Eine engagierte Kriminal-Kommissarin informiert Kevins Mutter und empfiehlt ihr, sich an eine Beratungsstelle zu wenden. Im Beratungsgespräch stellt sich heraus, dass Kevins Mutter wütend auf ihn ist.

"Warum hat er sich nicht gegen die Übergriffe gewehrt und nichts erzählt?", herrscht sie die Beamtin an, die ihr gegenüber sitzt. Doch sie hat auch Angst. Sie befürchtet, dass Kevin sich an seinem jüngeren Bruder vergreifen könnte. "Manchmal ist Kevin aggressiv", sagt sie. "Auch mir gegenüber. Ich möchte, dass er eine Therapie macht."

Die Lehrerin an der Sonderschule beschreibt Kevin als sehr wachen Jungen, der aber ein problematisches Essverhalten und Schwierigkeiten mit Geld hat. "Er wirkt zwar stabil, ist es aber nicht", lautet ihr Urteil. "Grenzen, auch anderen Kindern gegenüber, hält er nicht ein."

Kevin macht schließlich eine Therapie, zusätzlich zu der Tagesgruppe, die er besucht. Dort beginnt er, beim Malen seine Missbrauchserlebnisse anzudeuten. Die Betreuer der Tagesgruppe freuen sich, dass Kevin, der nie über seine Probleme spricht, langsam offener wird, und sehen viele Probleme bei der Mutter.

Dann steht der Termin der Strafverhandlung gegen den Mann an, der den Jungen missbraucht hat. Eine schwierige Situation, schon die Aussicht auf das Wiedersehen macht dem Heranwachsenden sichtlich Probleme. Trotzdem besucht Kevin die Therapie nicht mehr regelmäßig. Seine Mutter sagt Termine ab, da sich sein Verhalten ihrer Meinung nach ohnehin nur verschlimmert. Sie erzählt auch, dass Kevin in den Aufzug pinkelt, Geld klaut und Gegenstände kaputt macht. Kevin leidet unter dem Missbrauch, aber das scheint seine Mutter nicht sehen zu wollen.

Sie wendet sich an einen Psychiater, der sich mit Kevins Essproblemen beschäftigen soll. Sie meint, der Junge sei schon seit seinem dritten Lebensjahr "verdreht". Er habe wohl "einen Genfehler". Sie überlegt, ob sie Kevin in ein Internat geben sollte.

Bei der Strafverhandlung ist Kevins Mutter nicht dabei. Das muss er alleine durchstehen. Wenigstens bleibt ihm die Aussage erspart, weil der Täter gesteht.

Mit zehn Jahren ist Kevin noch in der Tagesgruppe. Die Mutter sucht allerdings nach einer anderen Lösung und lässt ihn auf Hyperaktivität testen. Kevin macht mittlerweile wieder eine andere Therapie und bekommt Medikamente. Sein eigentliches Problem bleibt.

Im Alter von 15 Jahren ist Kevin in einer betreuten Wohngruppe untergebracht, fährt jedoch an den Wochenenden nach Hause. Dort trifft er auf veränderte Verhältnisse. Seine Mutter ist mit einem neuen Partner zusammengezogen, der kleine Kinder mit in die Beziehung bringt.

Seine neuen Geschwister berichten, dass Kevin sexuelle Handlungen an ihnen vorgenommen hat.

Im dritten und letzten Teil unserer Artikelfolge geht es morgen um die Frage, wie jugendliche Sexualstraftäter therapiert werden können.

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