Die Frau aus der Mitte

TRIER-MITTE/GARTENFELD. (jue) Ricarda Kuhner ist eine der fünf weiblichen Ortsvorsteher in Trier. Für die Stadt, die sie mit Leib und Seele liebt, saß die 63-Jährige außerdem als eine der ersten Frauen im Stadtrat.

"Ich gehe hier nicht gerne hin", sagt die rundliche Frau im grauen Poncho und atmet kurz durch, bevor sie die Klingel drückt. "Eine Gratulation für Herrn Schuler" verkündet sie, als sich die Tür öffnet. Sie überreicht eine Flasche Wein und die Urkunde des Oberbürgermeisters. Sie gibt dem Hund noch ein paar Streicheleinheiten, verabschiedet sich und steht schon wieder im Aufzug der Residenz am Zuckerberg.Wieder im Freien blickt Riccarda Kuhner durch ihre getönte Brille und lässt den Blick streifen. Hier in der Trierer Innenstadt im Bezirk Mitte/Gartenfeld ist sie Ortsvorsteherin. Der Spielplatz in der Langstraße und der Übergang von der Schützenstraße in den Palastgarten sind Projekte, die sie vorangetrieben hat. "Ich habe mich immer gerne eingemischt", sagt sie bestimmt.Einsatz zeigte sie bereits im Alter von drei Jahren. Begeistert von der Aussicht, in den Kindergarten zu gehen - ihre Mutter dazu aber keine Zeit fand - meldete sie sich kurzerhand selbst an. Ihr Herz hänge an den Straßen, Häusern und Menschen ihrer Geburtstadt. "Jede Bekanntschaft ist eine Bindung zur Stadt Trier", sagt Kuhner, die ihre Wohnung als "Single" mit zwei Katzen teilt. Ihre vielen persönlichen Bekanntschaften sind für sie auch ein Grund, weiter politisch zu arbeiten und sich auf diesem Weg für die Menschen einzusetzen.Ihr beruflicher Werdegang führte sie erst als Lehrerin zu einer Grund-, dann zu einer Hauptschule und schließlich als Leiterin an die Grundschule Ruwer, wo sie bis zu ihrem Ausscheiden im vorigen Jahr blieb. Ihrer Stelle im Schuldienst verdankt sie auch ihre politische Karriere. Beim Wahldienst, inmitten von Wahlkabinen und Stimmzetteln, wurde sie angesprochen, ob sie sich nicht in eine Partei, die CDU, einbringen wolle. Einige Persönlichkeiten aus der CDU-Führungsriege imponierten der jungen Frau besonders. So versuchte sie, in deren Fußstapfen zu treten."Es war eine schöne Gemeinschaft", erinnert sich Kuhner. 1964 trat sie in die Frauen-Union ein, wurde später mit 32 Jahren die jüngste Vorsitzende. "Es war nicht ganz leicht, reinzukommen und sich aufstellen zu lassen. Aber als ich dann in den Gremien war, wurde ich immer zuvorkommend behandelt und bin vor allem gehört worden", berichtet die heute 63-Jährige. Stets hatte sie das Gefühl, dass die Anwesenheit von Frauen die Atmosphäre höflicher und angenehmer werden ließ.1974 errang Kuhner einen Sitz im Stadtrat. 25 Jahre lang gehörte sie dem Stadtrat an. Ricarda Kuhner dreht den dafür verliehenen Ehrensiegelring der Stadt Trier, den sie am Zeigefinger trägt, und sagt nachdenklich: "Ich habe beobachtet, dass Frauen im Gegensatz zu Männern bei Niederlagen viel eher scheitern und aufgeben."Mit ihrer Arbeit im Stadtrat qualifizierte sie sich 1988 für ein Amt, das bislang Männern vorbehalten war: Ortsvorsteher. Die Männer der CDU-Spitze gaben ihr Rückendeckung. Eineinhalb Jahre sprang sie als Ortsvorsteherin ein. "Man wollte mich als Person, nicht unbedingt eine Frau auf dem Posten", erinnert sie sich. Bis heute sind die Orts- und Gemeinderäte die politischen Gremien mit dem geringsten Frauenanteil.Erst 1999, nachdem sie im Stadtrat den Rückzug angetreten hatte, entschied sich die Schulleiterin wieder, als Ortsvorsteherin in Trier-Mitte zu kandidieren. Aus der ersten Urwahl ging sie nach Stichwahl als Gewinnerin hervor.Von da an gehörten rund 40 Gratulationen im Monat zu ihrem Alltag. Doch meist hat sie einen Kloß im Hals, wenn sie jemandem zum 80. oder 94. Geburtstag in einem Seniorenheim in der Innenstadt gratulieren muss. "Viele der alten Leute sind leider dement", erzählt Kuhner. Wenn es aber an der Geburtstagstafel selbst gebackene "Mäusjer" gibt, dann bereitet ihr selbst diese Pflicht als Ortsvorsteherin Spaß.

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