Die Herz-Jesu-Statue im Trümmerhaufen

Wir erlebten in Heddert ein schreckliches Kriegsende. Von Januar bis März 1945 lag der Ort in der Hauptkampflinie zwischen der deutschen Wehrmacht und den amerikanischen Streitkräften. Der dauernde amerikanische Beschuss unseres Dorfes von der Pellinger Höhe aus machte uns allen schreckliche Angst.

Der Grund der ständigen Angriffe war wohl eine deutsche Funkstation in der Nähe unseres Hauses. Durch die Einquartierung deutscher Soldaten und eines Trierer Ehepaares in unserem Haus lebten wir in sehr beengten Verhältnissen. Wir hörten die Soldaten öfters heftig diskutieren. Während einige den Krieg schon verloren gaben, glaubten andere noch an einen Sieg durch die in der Propaganda gepriesene Wunderwaffe. Mit dem evakuierten Trierer Ehepaar zogen meine zehnjährige Schwester und ich als Sechzehnjährige mit einem Handwagen in ein im Wald gelegenes kleines Steinhaus (Gattermann´s Häuschen). Unsere beiden Brüder blieben mit der Mutter und dem Vater im Dorf zurück. Wegen totaler Überbelegung des Häuschens mussten wir am nächsten Tag zurück nach Heddert. Auf dem Rückweg schlugen die Granaten rechts und links auf den Feldern ein und wir lagen mehr auf dem Boden als dass wir gingen. Auf den Wiesen waren überall grässlich verstümmelte Rinder und Kühe. Kurz vor dem Erreichen des Dorfes sahen wir einen Granateinschlag in den Giebel unseres Hauses, und wir hatten große Angst um unsere Familie. Unsere gesunde Rückkehr ins Dorf und unsere unverletzt gebliebene Familie kamen uns wie ein Wunder vor. Die ständigen Granateinschläge zwangen uns in den kleinen Kartoffelkeller des Nachbarhauses, wo sich rund 15 Menschen aufhielten. Ein älterer Mann spürte einen Schlag gegen seine Brust und schrie: "Ich bin getroffen, ich sterbe." Ihm war nichts passiert, ein kleiner Splitter steckte in seiner Brieftasche. Panik brach aus und jemand rief: "Schnell raus." Aber die erste Frau, die durch die kleine Kellerluke wollte, steckte sofort fest und war nur mit Gewalt zu befreien. Nachdem die Öffnung mit Hammer und Meißel vergrößert war, konnten wir nach draußen klettern. Es sah schlimm aus. Überall lagen Trümmer, und in den zerstörten Ställen brüllte das Vieh. Inzwischen waren die Amerikaner in das Dorf eingerückt. Sie verteilten die Dorfbewohner auf zwei noch unbeschädigte Häuser. Die Amerikaner waren unsere Befreier und vor Freude darüber hing eine Frau als Zeichen der Kapitulation ein großes weißes Bettlaken ans Scheunentor. Sofort wurde das Haus von deutschen SS-Männer aus einem nahen Waldstück (genannt Heckelchen) beschossen. zwei amerikanische Soldaten und drei Zivilisten fanden den Tod. Einerseits mit Freude, andererseits mit gemischten Gefühlen sahen wir am Nachmittag, wie die gefangenen deutschen Soldaten in Richtung Lampaden abgeführt wurden. Tags darauf trieben uns die Amerikaner mit unverständlichen Worten auf eine große Wiese, vorbei an Bretterkisten mit den toten Soldaten und Zivilisten. "Jetzt werden wir erschossen", dachten wir alle. Aber die Soldaten hatten uns nur zum Zählen aufgestellt. Nach der Zählung wurden wir für einige Tage in die Unterkünfte zurückgebracht. Es war Mitte März, als wir wieder in unser teilweise zerstörtes Haus zurückkehren durften. Dort fanden wir das im Keller im Backofen versteckte Porzellan total zertrümmert. Doch die ebenfalls dort versteckte 65 Zentimeter hohe Herz-Jesu-Statue stand unversehrt auf den Scherben. Sie hat heute noch einen Ehrenplatz in unserer Wohnung. In den verlassenen amerikanischen Schützengräben im nahe gelegenen Wald fanden wir reichlich Konserven, Zigaretten, Schokolade und Decken. Von diesen Decken nähte ich meinen Brüdern die ersten Nachkriegshosen. Agnes Maßem wurde 1928 in Heddert geboren. Seit ihrer Heirat im Jahre 1950 lebt sie mit dem kürzlich verstorbenen Ehemann und ihrer Familie in Schillingen.

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