Die Last mit der Genialität

TRIER. Nach Jahrzehnten ideologischer Abwertung hat das Thema "Hochbegabtenförderung" jetzt Konjunktur. Doch das Expertengespräch im Tagungszentrum der IHK wurde am Ende vom Schulalltag eingeholt.

"Elite" und "Hochbegabung" waren einmal hässliche Worte. Mittlerweile sitzen Kulturdezernent Holkenbrink und die Spitzen der Nikolaus-Koch-Stiftung im IHK-Tagungszentrum ganz vorne, wenn davon die Rede ist. Zumal die Veranstaltung, zu der Walter Born von der Initiative Region Trier den Anstoß gegeben hatte, einiges versprach. Mit Ursula Hellert hatte die Organisation "Lernende Region" Trier eine erfahrene und kompetente Referentin gewonnen. Die Direktorin der privaten Jugenddorf-Christophorusschule in Braunschweig engagiert sich seit 1977 für die Förderung von Schülern mit außergewöhnlichen Fähigkeiten. Feststellung von Hochbegabungen, Förderprogramme, seit 2003 sogar eine spezielle Förderklasse - solche Einrichtungen sind in Braunschweig ebenso selbstverständlich wie die psychologische Beratung in der Schule und die Mitwirkung von Erzieherinnen im Grundschulzweig. Und weil diese Schule von einem privaten Träger betrieben wird, hat sie auch die Möglichkeit zu differenzierten Unterrichtsformen, die es im staatlichen Schulwesen kaum gibt. Im Braunschweiger Raum ist sie längst eine renommierte Institution. Erfolg verpflichtet. Ursula Hellert hatte in ihrem konzentrierten und inhaltsreichen Vortrag wichtige Einsichten parat für alle, die die Hochbegabtenförderung aus der Sackgasse bringen wollen.Klares Plädoyer gegen Eliteschulen

Einsicht Nummer eins: Begabung ist eine Gabe, die Verpflichtungen nach sich zieht. Einsicht Nummer zwei: Hochbegabte sind zarte Seelen, die individuelle Unterstützung benötigen. Einsicht Nummer drei: Hochbegabte sind ganz normale Menschen, die in den Schulablauf integriert werden müssen. Einsicht Nummer vier: Hochbegabung ist nicht nur intellektuelle Begabung, sondern auch anderes: Kunst, Musik, soziale Fähigkeiten, problemlösendes Denken. Einsicht Nummer fünf: Es gibt keinen geraden Weg von der Begabung zur Leistung. Hochbegabte können Schlechtleister werden, durchschnittlich Begabte können Höchstleistungen erbringen. Und weil das so ist, empfiehlt Ursula Hellert eine professionelle Diagnostik, um Hochbegabte rechtzeitig zu entdecken. Sie spricht sich gegen Eliteschulen aus und für die Kombination von persönlicher Förderung und Integration in den normalen Unterricht. Sie verlangt eine Förderung der gesamten Persönlichkeit und nicht nur des Intellekts. Sie legt den Schulen ein professionelles Qualitätsmanagement nahe, damit die Lehrer in ihrer besonderen Situation nicht allein gelassen werden. Schließlich geht es auch um die Grundeinstellung von Eltern und Schülern zu Schule und Lernen. Schule müsse anstrengend sein, weil sich Kinder anstrengen wollen. Die Zeit der Spaßpädagogik neigt sich offenbar dem Ende zu. Das sind schöne Grundsätze und strenge Maßstäbe. Für sie ist die Braunschweiger Privatschule ein ideales Erprobungsfeld. Wie sich solche Grundsätze im normalen Schulwesen umsetzen lassen, blieb in dieser Veranstaltung allerdings offen. Klar war nur: Es muss mehr passieren als bisher.Der gute Wille ist da, aber das Geld fehlt

In der Diskussion zeigte sich nämlich, dass sich die Förderung der Hochbegabten kaum trennen lässt von den Grundproblemen des Schulsystems. In etlichen Fragen an die Referentin wurde das unterschwellig mitformuliert. Nicht, dass in den staatlichen Gymnasien nichts getan würde für die so genannte Exzellenzförderung. Aber es bleibt doch mehr oder minder bei verstreute Aktionen ohne Gesamtkonzept. Der Wille zur Veränderung ist da, aber wenn es um Geld geht, streiken die Finanziers. Auch die Fördergelder der die Nikolaus-Koch-Stiftung können den Bedarf offenbar nicht decken. Eine Studiendirektorin am Rande der Veranstaltung: "Jetzt soll alles zum Nulltarif durchgezogen werden. Das kann nicht funktionieren." Am Ende hatte der Schulalltag die Diskussion eingeholt. Eine Mutter schilderte mit tränenerstickter Stimme die Suizidgefährdung ihres Sohns, die Hilflosigkeit der Eltern und die Wirkungslosigkeit des schulpsychologischen Dienstes. Andere Mütter klagten über Schulverweigerung und die Orientierungslosigkeit von Kindern und Eltern. Auch zu einer flächendeckenden und wirksamen Hochbegabtenförderung ist der Weg noch weit. Zwar soll Trier Standort für ein Gymnasium mit Förderstufe werden, aber selbst das ist nicht mehr als der berühmt Tropfen auf den heißen Stein. Außerdem: Welche Schule dabei den Zuschlag erhält, ist offen. Ein Insider: "Das sind noch ungelegte Eier".

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