Die "Milch-Marie" aus der Biergass'

PFALZEL. Im einstigen Vorstadtdorf geboren, erlebte Maria Roth die Entwicklung des Stadtteils hautnah mit. Für viele Bewohner ist die 81-Jährige noch heute die "Milch-Marie" von Pfalzel.

Die Kanne in der linken, die Glocke in der rechten Hand - Maria Roth ist in einen weißen Kittel geschlüpft, um noch einmal die Rolle ihres Lebens zu spielen: die der "Milch-Marie". So kannten sie einst die Pfalzeler und so nennen viele die 81-Jährige bis heute - 34 Jahre, nachdem Maria Roth ihren letzten Liter Milch verkaufte hat. "Ich bin noch nie aus Pfalzel herausgekommen", sagt Maria Roth, und man hört den Stolz einer Lokalpatriotin aus ihrer Stimme. Die erste Pfalzelerin mit Führerschein

Da zählen auch die neun Monate in Thüringen nicht, wohin sie die Evakuierung gegen Ende des Krieges verschlagen hatte. "Früher war Pfalzel ein kleines Dörfchen und jeder hat den anderen gekannt", erinnert sich Maria Roth an ihre Kindheit und Jugendjahre. Da lebte sie noch in der Biergass', der heutigen Mechtelstraße, und hieß nicht Roth, sondern Steinbach. Die Eltern führten einen Kolonialwarenladen und so schien absehbar, dass die Tochter einmal im Geschäft mitmischen sollte. Als 1939 ihre drei Brüder und der Vater von der Wehrmacht eingezogen wurden, musste die 17-Jährige ihrer Mutter im Laden helfen. Zuvor hatte sie bei der Volkshilfe, einer Versicherung in Trier, gearbeitet. Westdeutschlands größten Verschiebebahnhof vor der Tür und die Moselbrücke am Ortsrand, war Pfalzel ein bevorzugtes Ziel alliierter Luftangriffe. "Wenn die Brücke angegriffen worden war, liefen wir mit Eimern zur Mosel und zogen die toten Fische aus dem Wasser", erinnert sich Maria Roth an die "genießbaren" Seiten der Bombardements. Die grausigen Erinnerungen hat sie nicht verdrängt. Als der Krieg vorüber und Maria Roth nach Pfalzel zurückgekehrt war, machte die junge Frau sich schnell einen Namen: immer schon eine Kauffrau-Natur, startete sie früh mit ihrem Milchhandel. Schließlich waren die Bauern nach dem Krieg verpflichtet, ihre Milch abzuliefern um so die Versorgung der Menschen sicher zu stellen. Maria Orth führte Pfalzels Milchsammelstelle und es dauerte nicht lange, da radelte sie - die Zehn-Liter-Kanne im Anhänger - durchs Dorf. "Ich war dann schnell die Milch-Marie", erzählt sie. Weil Maria Roth ihrer Zeit vorauszueilen schien, machte sie bereits 1951 den Führerschein, "als erste Frau von Pfalzel". Sie stieg vom Zwei- aufs Vierrad um und kutschierte die Milch fortan im Opel Caravan durchs Dorf. Später kamen Eier, Butter und Käse zu ihrem Sortiment hinzu. Im Ortskern "Op der Platz" hatte Maria Roth ihr Geschäft, bis sie 1970 eine schwere Krankheit dazu zwang, alles aufzugeben. Auch die Stadtteil-Fastnacht musste seither auf Maria Orth verzichten. Bitter für Pfalzels organisierten Frohsinn, hatte sich die "Milch-Marie"doch längst zur närrischen Größe gemausert. Mit Kittel, Glocke und Milchkanne bereicherte sie ein Jahrzehnt lang die Kappensitzungen. Maria Roth schwelgt schmunzelnd in Erinnerungen. Zum Beispiel, wenn sie von den Soldaten aus Trier-Nord berichtet, die zum Tanzen ins Dorf kamen. Die uniformierten Stammgäste ließen auch sie nicht kalt, schließlich waren "die einfach schicker als unsere Pfalzeler Jungs". Wobei diese sich zu revanchieren wussten: Waren die Soldaten wieder in ihre Kaserne eingerückt, standen Maria Roth und ihre Freundinnen mitunter ziemlich verlassen auf dem Parkett. "Ich war immer ein Durchsetzungswesen", sagt Maria Roth. Dass ihr Krankheit und Alter immer mehr zusetzen, sieht und spürt man. Doch die "Milch-Marie" lässt sich nicht unterkriegen und schwärmt statt dessen von der "schönen Zeit, die wir hatten". Morgen berichten wir in unserer Serie über einen begeisterten Neupfalzeler, den Künstler Leo Dellwo.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort