Die Stunde der Wahrheit kommt

Von 100-Tage-Bilanzen hält Klaus Jensen wenig. So viel könne man doch in dieser Zeit gar nicht bewegen, sagt Triers "neuer OB". Trotzdem markieren die ersten 15 Wochen seiner Amtszeit einen Einschnitt.

 Zeigt sich gerne und oft volksnah: OB Klaus Jensen, hier beim Christopher Street Day. TV-Foto: Archiv/Cordula Fischer

Zeigt sich gerne und oft volksnah: OB Klaus Jensen, hier beim Christopher Street Day. TV-Foto: Archiv/Cordula Fischer

Trier. Das eine oder andere Mal ist es ihm schon noch passiert, dass ein zerstreuter Begrüßungsredner den "Oberbürgermeister Helmut Schröer" herzlich begrüßte. "Da habe ich mich drüber amüsiert", lächelt Klaus Jensen, "aber es wird immer seltener." Kein Wunder angesichts der öffentlichen Präsenz des Neuen, die hinter der allumfassenden Anwesenheit seines Vorgängers keineswegs zurückbleibt. "Das ist schon mehr, als ich gedacht habe", räumt Jensen ein, "aber die Leute erwarten das, und ich finde es auch richtig." Die "Gefahr des Verzettelns" sieht er trotzdem und das gelegentliche Gefühl, wie ein Hamster im Rad zu rotieren. Aber das sei "alles eine Frage der guten Organisation".Was die Politik angeht, ist das weniger einfach. Da geht es um Entscheidungskompetenz oder anders formuliert: um Macht. Wer weder im Stadtvorstand noch im Rat Mehrheiten hat, kann kaum Richtlinien der Politik bestimmen. Also setzt der 54-Jährige eine "Symbolpolitik", der er unumwunden einen "hohen Stellenwert" beimisst. So geht er auch da hin, wo sich bislang selten ein Trierer OB verirrte: Zum "Weltbürger-Frühstück", zum bunten Christopher-Street-Day und zur Mai-Kundgebung der Gewerkschaften. Die Wirkung ist enorm: Wo ein Oberbürgermeister auftaucht, zeigen plötzlich auch andere Präsenz.Symbolträchtig sind auch die Stadtteil-Begehungen und -Konferenzen. Der Verwaltungschef schließt gar "Verträge" mit den Bürgern vor Ort. Eine Sollbruchstelle mit dem Rat. Der holte zwar in der Vergangenheit gerne die Meinung der Bürger ein, entschied dann aber doch in der Regel nach Gutdünken, ohne sein Votum vor Ort groß zu erklären. Jensen macht seinen Rats-Kollegen Dampf

"Das kann nicht so bleiben", sagt das Stadtoberhaupt. Die neue Achse zwischen OB und den Bürgern macht der amtlichen Volksvertretung Dampf, "ohne unter Druck gesetzt zu werden", so Jensen. Aber die Bürger sollen künftig nicht nur unverbindliche Wunschzettel abliefern, sondern auch an der Entscheidung über die Prioritäten beteiligt werden.Dass der Neue auf dem Chefsessel für unkonventionelle Maßnahmen gut ist, hat der Stadtrat aber auch schon in umgekehrter Richtung erfahren. In Sachen Flughafen Bitburg legte Jensens Stadtvorstand nicht eine, sondern zwei Entscheidungsvarianten vor, mal pro und mal contra. Eine skurrile Vorgehensweise, erwartet man doch von der Führungsspitze normalerweise klare Ansagen. "Was skurril ist, muss ja nicht schlecht sein", hält der OB dagegen und betont, er gehe "ausgesprochen gern innovative Wege".Gerade deshalb gilt er vielen Trierern nach seinem Kantersieg bei der Wahl als eine Art Messias. Sie erwarten, dass er das angeschlagene Vertrauen der Bürger zur Kommunalpolitik auf allen Ebenen wiederherstellt. Aber dann kommen das Südbad oder die GMD-Wahl, und schon schwindet der Anspruch von Transparenz und Bürgerbeteiligung. Stadtvorstand als Team ansehen

Doch der OB ist, anders als ein Bundeskanzler, kein Regierungschef. "Die Dezernenten haben ein großes Maß an Autonomie", betont Jensen. Trotzdem sieht er den Stadtvorstand als "Team, das daran mitwirkt, wenn sich die Kultur stärkerer Beteiligung weiterentwickelt". Wie weit es damit her ist, wird sich erweisen, wenn nach den Ferien der Haushalt auf die Tagesordnung kommt. Jensens erste 100 Tage hatten da eher etwas von Flitterwochen, mit dem Traumstart "Konstantin", dem freundlichen Respekt auch aus dem gegnerischen Lager und einem ständigen Bad in einer erwartungsvollen Menge. Früher, so erzählt er, konnte er vom Hauptmarkt zur Porta in drei Minuten laufen, "jetzt sind es 20". Noch entfällt ein Großteil dieser Zeit aufs Schulterklopfen. Wenn er mit seinem Sparkurs Ernst macht, könnte sich das bald ändern. Aber davor ist Klaus Jensen nicht bange: Er habe im Zweifelsfall "auch kein Problem damit, schlechte Nachrichten zu überbringen".Das komplette TV-Interview heute um 20.15 Uhr im Offenen Kanal und als Video unter www.volksfreund.de

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