Die Würde bewahren

TRIER. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Leben mit Demenz" der Alzheimer-Gesellschaft Region Trier, beleuchteten drei Fachvorträge verschiedene Aspekte des Themas. Im ersten Vortrag gab Wilhelm Classen, Chefarzt der Psychiatrie im Mutterhaus Trier, Tipps zum Umgang mit dementen Patienten im Krankenhaus.

Schon der Beginn von Dr. Wilhelm Classens Ausführungen vor Fachpublikum und Angehörigen gab zu denken, denn Classen machte darauf aufmerksam, wie oft im Zusammenhang mit älteren Menschen abwertende oder verniedlichende Begriffe gebraucht werden. "Wie betrachten wir die Menschen, beurteilen wir sie nach ihren Ressourcen und Stärken oder ihren Defiziten und Mängeln?" Darüber müsse man sich vor allem im Umgang mit Demenzpatienten klar sein. Demenzen äußerten sich in kognitiven Störungen wie Gedächtnisverlust, in Verhaltensauffälligkeiten und zunehmendem Verlust an Selbstständigkeit. "Deshalb muss man immer neu abschätzen: Was kann der Mensch noch leisten, was kann man von ihm fordern, ohne ihn zu überfordern?" Auf Überforderung reagierten Patienten entweder depressiv oder aggressiv, auch könne es zu wahnhaften Ängsten kommen, wie etwa die Sorge, nicht mehr ausreichend versorgt zu werden. Mit Medikamenten werde das Problem häufig verdeckt, diese seien aber schädlich für das Gedächtnis und auch meistens unnötig. Denn schon mit einfachen praktischen Maßnahmen im Umgang könne man bessere Wirkung erzielen. Zur Eingewöhnung in der fremden Krankenhaus-Umgebung sei es wertvoll, auf vertraute Rituale zurückzugreifen: Wenn möglich, Lieblingsmahlzeiten zu gewohnten Zeiten anbieten, Aufstehen oder Körperpflege in Rhythmus und Rahmen, die der Patient gewöhnt ist. Auch helfe es sehr, wenn der betreffende Mensch von vertrauten Dingen umgeben sei, zum Beispiel einem gebrauchten Kopfkissen oder einem Bademantel, den er auch zu Hause bereits getragen hat. Pflegende sollten deshalb unbedingt bei den Angehörigen nach Lebensgewohnheiten und Vorlieben - auch in der kulturellen Biografie des Patienten - fragen. Eine CD mit der Lieblingsmusik etwa rühre an den Emotionen und könne dem Patienten Ruhe vermitteln. Im Alltagsablauf gelte es, so viel Erleichterung anzubieten wie irgend möglich, in Form behindertengerechter Hilfsmittel und vor allem von Orientierungshilfen: Uhren mit großem Ziffernblatt, große Namenszüge an Türen, deutlich lesbare Hinweise an den Fächern von Schränken. Kein Kommandoton, viel Sensibilität

Besondere Sensibilität sei im Umgang gefragt: "Ich muss mich auf den Dementen einstellen, er kann es umgekehrt nicht mehr", sagte Classen. Oberstes Gebot sei dabei, den Menschen ernst zu nehmen, durch Gespräche herauszufinden, was er verstehe und wie er seine Befindlichkeit ausdrücke. Niemals solle man in unangemessenem Ton kommandieren oder tadeln, denn das würde sehr deutlich empfunden und führe zu emotionalem Stress. Auch müsse jede Art von Demütigung vermieden werden, zum Beispiel in Anwesenheit des Betreffenden über seine Defizite zu sprechen. Zuletzt appellierte Wilhelm Classen noch einmal nachdrücklich, die Würde der zu Pflegenden im Auge zu behalten und schloss: "Das kostet kein Geld, sondern nur ein bisschen Sensibilität, Organisation und die Bereitschaft, hier und da vom Üblichen abzuweichen."

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