"Die verdammte Brücke"

Eigentlich wären wir in unserem Ort Morscheid bei Morbach im Hunsrück vom Kriegsgeschehen verschont geblieben, hätte es diese an der Bahnlinie Simmern-Hermeskeil gelegene 42 Meter hohe Hoxeler Eisenbahnbrücke, genannt "Enich-Brück", nicht gegeben. Sie war das Ziel permanenter Bomberangriffe und im Herbst sowie am ersten Weihnachtsfeiertag 1944 schwer beschädigt.Es war um die Mittagszeit, ein sonniger Tag, aber ohne Schnee. Am Himmel brummten wieder Fliegerverbände der Alliierten mit Zielrichtung "Enich-Brück". Unsere Mutter hatte gerade den Mittagstisch gedeckt. Es gab Hähnchen, Kartoffeln und Rosenkohl, für die Kriegszeit ein Festessen.Meine Eltern, meine beiden Schwestern und ich waren nach einem gemeinsamen Tischgebet im Begriff mit dem Essen zu beginnen. Doch dazu kam es nicht mehr!Im gleichen Augenblick stürzte unsere Nachbarin Anna Wagner zur Stubentüre herein und schrie: "Franz bei euch im Edenbruch brennt es!" Franz, das war mein Vater, sprang sofort auf ohne auch nur einen Bissen gegessen zu haben und rannte, so schnell er konnte, zu seinem Elternhaus in den Edenbruch, um beim Löschen zu helfen, zu retten, was zu retten war. Auch meine Mutter und wir drei Kinder waren so erschrocken, dass wir nur mit Mühe etwas essen konnten.Von den vielen Bomben, die die Brücke erneut schwer schädigten und im Umkreis der Brücke viele Krater in die Erde rissen, wurde die Luft immer "dicker". Aus purer Angst suchten wir im Haus Schutz hinter einer etwa 50 Zentimeter dicken Mauer zwischen Küche und Scheune.Als es draußen ruhiger wurde, ging unsere Mutter mit uns Kindern von unserer Wohnung im Ort zur Anhöhe nach St. Cuno (etwa 500 Meter Wegstrecke). Von dieser Anhöhe konnten wir ins Tal sehen, wo das Haus meiner Großeltern stand.Es war ein grauenhaftes Bild: ein Flammenmeer. Der gesamte Gebäudekomplex, bestehend aus Wohngebäude, Scheune, Stall, Schreinerwerkstatt und Holzsägegatter brannte völlig nieder. Lediglich das Vieh und ein wenig Mobiliar wurden gerettet.Die etwa 250 Meter oberhalb in Richtung Brücke befindliche Bremm's-Mühle stand ebenfalls in hellen Flammen.Ursache beider Brandherde waren Brandbomben. In den nachfolgenden Tagen wurden diese weit verstreut herumliegenden, zum Teil noch nicht gezündeten Brandbomben von Jugendlichen aufgesammelt und wie "Brennholz" auf dem Arm herumgetragen.Bei diesen mehr als leichtsinnigen "Spielereien" wurde ein Nachbarjunge schwer verletzt.Binnen ein paar Stunden wurde Weihnachten 1944 für unsere Familie zum Trauertag. Großvater und Großmutter standen da mit Tränen in den Augen, als sie hilflos mit ansehen mussten, wie ihr Zuhause von den Flammen ausgelöscht wurde. Auch wir Enkelkinder vermissten danach die schönen Aufenthalte bei den Großeltern im Edenbruch. Helmut Zimmer, MorbachSchreinermeister und Rentner, war 1944 acht Jahre alt

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