Disput im Trierer Ausschuss: Fraktionen fühlen sich übergangen und setzen Flüchtlingsthema ab

Trier · „Rat und Bürger müssen sich veräppelt vorkommen“: So beschwerte sich SPD-Fraktionschef Sven Teuber im Steuerungsausschuss des Trierer Stadtrats über die Informationspolitik von Sozialdezernentin Angelika Birk (Grüne). Zwischenzeitlich verließen die Genossen sogar aus Protest den Saal. Der Tagesordnungspunkt Gesundheitskarte für Asylbewerber wurde vertagt.

 Sozialdezernentin Angelika Birk und Michael Clar (F+B Forschung und Beratung für Wohnen, Immobilien und Umwelt GmbH, Hamburg) präsentieren den neuen Mietspiegel, der ab 1. Juli gütlig ist.

Sozialdezernentin Angelika Birk und Michael Clar (F+B Forschung und Beratung für Wohnen, Immobilien und Umwelt GmbH, Hamburg) präsentieren den neuen Mietspiegel, der ab 1. Juli gütlig ist.

Foto: Rainer Neubert

Ungewöhnlich hoch schlugen die Wogen gleich zu Beginn des Trierer Steuerungsausschusses am Donnerstagabend. Vor allem die SPD fühlte sich durch die Tagesordnung provoziert und verlangte deren Änderung. Andere Fraktionen schlossen sich teilweise an.
Streitpunkt Gesundheitskarte: Im Oktober 2015 beschloss der Stadtrat mit großer Mehrheit nach Vorarbeit der Landesregierung grundsätzlich die Einführung einer Gesundheitskarte für Flüchtlinge. Asylbewerber müssten mit dieser Karte nicht mehr für jeden Arztbesuch einen Behandlungsschein beim Sozialamt beantragen. Auch Bürgermeisterin und Sozialdezernentin Angelika Birk stand zunächst hinter dem Plan. Doch nach Abschluss einer Rahmenvereinbarung zwischen Land und Krankenkassen wurde aus Sicht der Stadtverwaltung deutlich, dass Personalaufwand und Kosten deutlich höher als beim bisherigen Verfahren wären. Am 4. Juli ließ Birk Oberbürgermeister Wolfram Leibe (SPD) bei einem Pressegespräch mitteilen, dass die Stadt die Karte nicht einführen werde - und löste prompt Proteste von SPD, Grünen und Linken aus (der TV berichtete am 5. und 6. Juli).Streitpunkt Mietspiegel: Am 30. Juni präsentierte Birk einen im Auftrag des Stadtrats erstellten Mietspiegel für Trier (der TV berichtete). Er kann seit 1. Juli vor Gericht als Beweismittel zur Höhe der ortsüblichen Miete verwendet werden.
Die Vorwürfe: SPD-Fraktionschef Sven Teuber forderte die Vertagung des Themas Gesundheitskarte. Fünf Ratsfraktionen hätten in einem Brief an Landesgesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) Informationen dazu erfragt und wollten das Ergebnis abwarten. Als "weiteren Affront" und "politisch nicht akzeptabel" bezeichnete Teuber das Timing beim Mietspiegel: "Wir können ihn nicht in der Presse präsentiert bekommen, wenn der Rat erst zwei Wochen später informiert wird und darüber befinden soll. Es wird der Anschein erweckt, der Rat könnte dann noch Einfluss nehmen." Es könne nicht angehen, "uns als Abnickverein hinzustellen".
Die Reaktion: Dezernentin Birk wies die Anschuldigungen zurück. Sie habe den Mietspiegel am Tag vor der Pressekonferenz im Dezernatsausschuss vorgestellt: "Ich bin davon ausgegangen, dass Einvernehmen herrscht." Über die Probleme bei der Gesundheitskarte habe sie im Ausschuss am 2. Juni informiert und die Fraktionen aufgefordert, bis zum 21. Juni Stellung zu nehmen. Einige Fraktionen hätten sie daraufhin gebeten, eine Vorlage zu erstellen. Diese wurde dem Steuerungsausschuss als Tischvorlage gereicht mit dem Beschlussvorschlag, die geplante Einführung der Karte aufgrund der Mehrkosten von 218000 Euro pro Jahr abzublasen.
Die Diskussion: CDU-Fraktionschef Udo Köhler plädierte wie Grüne und Linke für eine Vertagung des Themas Gesundheitskarte: "Da sehen wir noch Gesprächsbedarf." Auch beim Punkt Mietspiegel stimmte Köhler dem Kritikansatz Teubers inhaltlich zu: "Wir werden immer wieder zeitlich knapp informiert." Allerdings gebe es konkret beim Mietspiegel keinen weiteren Beratungsbedarf.
Die Abstimmung: Bei einer Gegenstimme der AfD und einer Enthaltung der FWG setzte der Ausschuss den Punkt Gesundheitskarte ab. Den Punkt Mietspiegel wollte die Mehrheit auf der Tagesordnung belassen. Als er an die Reihe kam, verließen die SPD-Vertreter demonstrativ kurz den Ratssaal und nahmen so nicht an der Abstimmung teil. Die restlichen Ausschussmitglieder stimmten der Vorlage bei einer Enthaltung (FWG) zu als Empfehlung für die letztlich entscheidende Stadtratssitzung am Donnerstag, 14. Juli.

MEINUNG


Der Frust sitzt tief

Wenn ein Mitglied des Stadtvorstands in einer öffentlichen Ausschusssitzung derart hart angegangen wird wie Angelika Birk, muss der Frust bei den Kritikern tief sitzen.
Mitglieder politischer Gremien reagieren zurecht empfindlich, wenn sie praktisch vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Auch wenn ihre Zustimmung mitunter als Formalie erscheint: Es geht ums (demokratische) Prinzip. Passiert das wiederholt, summiert oder potenziert sich der Ärger sogar.
Aktuell fielen zwei zumindest zweifelhafte Vorgänge zusammen: die einsame Abmoderation der Gesundheitskarte und die erst nachträgliche Absegnung des Mietspiegels. Die Karte war als flüchtlingspolitisches Vorzeigeprojekt geplant. Die Erkenntnis mangelnder Machbarkeit ist um so bitterer. Birks öffentlicher Vorstoß war unnötig und politisch unklug. Auch wenn der Rettungsversuch der Fraktionen am Ergebnis vermutlich nichts ändern wird. Die Berechnungen von Kosten und Aufwand in der (spät vorgelegten) Tischvorlage wirken nachvollziehbar.
Bei der Ausarbeitung des Mietspiegels war der Rat durchaus eingebunden. Und Terminschwierigkeiten kann es geben. Nur müssen die Verantwortlichen, also der Stadtvorstand, solche Umstände von vornherein offensiv mit den Fraktionen besprechen, sie einbinden und deutlich machen, dass es sich um kaum vermeidbare Ausnahmen handelt.

m.hormes@volksfreund.de

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