Drei Knalle, ein falscher Alarm, kein Amokläufer (Videos/Fotos)

Trier · Dreimal knallt es am Freitagmorgen in der Innenstadt. Die Geräusche, deren Ursprung bis jetzt unklar ist, lösen einen Amok-Fehlalarm aus, in dessen Verlauf alle Gebäude des Berufsschulzentrums am Paulusplatz von schwerbewaffneten Polizisten durchsucht und evakuiert werden. 400 Rettungskräfte sind im Einsatz, der Verkehr bricht zusammen.

"Das klang wirklich, als wären es Schüsse. Alle sind super erschrocken." David (17) sitzt in seiner Klasse in der Berufsbildenden Schule (BBS) Wirtschaft, als gegen 10.20 Uhr die Geräusche ertönen, die eine gewaltige Maschinerie in Gang setzen. Der Amok-Alarm wird ausgelöst - sowohl in einem der vier Schulgebäude am Paulusplatz als auch beim Polizeipräsidium Trier. Es gibt kein weiteres Abwägen.

Der Einsatz der Polizei, die seit 2007 bundesweit die Abwehr von Amokläufen an Schulen trainiert (siehe Extra), beginnt sofort. Während die Einsatzkräfte zu den drei Berufsschulen für Wirtschaft, Gewerbe und Technik sowie Ernährung, Hauswirtschaft und Sozialpflege ausrücken, in denen fast 2000 Schüler aus der gesamten Region sitzen, folgen die Lehrer dem Notfallprotokoll eines Amok-Alarms.

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Fehlalarm: Laute Knallgeräusche lösen Amokalarm an der BBS Trier aus 

Viele Schüler werden in ihren Klassenräumen eingeschlossen, um sie vor einem möglichen Amokläufer zu beschützen. Die Schüler haben Angst, viele kennen den Grund des Alarms nicht. Hilferufe und die zentrale Frage "Was ist hier eigentlich los?" gehen über etliche Handys raus. "Es war schlimm", schildert Miriam, Schülerin der BBS Gewerbe und Technik. "Niemand hat uns informiert, wir sind einfach eingesperrt worden. Klar hatte ich Angst." Eine Lehrerin der BBS Wirtschaft, die keinen Ärger mit ihrem Dienstherrn bekommen und deshalb anonym bleiben will, schildert dem Trierischen Volksfreund, dass offenbar nicht alles nach Plan gelaufen ist. "Mehrere Klassen sind unbeaufsichtigt eingesperrt worden", sagt sie. "Dort sind wohl viele panisch geworden."

Die beiden Sicherheitsbeauftragten der Schule hatten nach den Worten der Lehrerin am Freitag frei. Polizei und Feuerwehr sperren den Bereich um den Paulusplatz ab. Sofort bilden sich lange Staus auf den Trierer Hauptachsen. Die Einsatzkräfte wollen alle Schüler aus den drei Schulgebäuden herausholen, müssen aber dabei damit rechnen, auf einen oder mehrere Amokläufer zu treffen. Sie gehen deshalb sehr vorsichtig vor. Während sich viele Schüler schon auf der Straße sammeln und dort von per Handy informierten Eltern oder Freunden in Empfang genommen werden, bleiben andere eingeschlossen.

Gegen 13 Uhr ist die Situation weiterhin sehr unübersichtlich. Die Menschenmenge auf den Straßen am Berufsschulzentrum wird größer. Eltern in höchster Sorge, Freunde und Geschwister warten darauf, dass endlich alle raus gebracht werden. Bis jetzt hat niemand einen Amokläufer tatsächlich gesehen. Ein Spezialeinsatzkommando dringt zu den noch eingeschlossenen Klassen vor. Diese Beamten sind ausgebildet in Geiselrettung und Terrorbekämpfung. Da ihre Identitäten geheim bleiben müssen, sind sie mit schwarzen Sturmhauben maskiert. Schließlich sind alle draußen, Alarm und Einsatz enden gegen 15.15 Uhr.

Auch die Spezialeinheit findet keinen Amokläufer. 14 Jugendliche werden wegen Panik, Schwindel oder Kreislaufproblemen versorgt, drei von ihnen werden vorsorglich in ein Krankenhaus gebracht. Die drei Knallgeräusche, mit denen das alles begonnen hat, könnten nach ersten Vermutungen der Ermittler von einer Treibjagd stammen.

(Update): Bis Sonntag hatte die Polizei noch keine weiteren Hinweise zur Ursache der Knallgeräusche ermitteln können. Der Unterricht findet am Montag, wie gewohnt, statt.

Extra Amokläufe

Die Tragödien von Esching und Freising, Erfurt (beide 2002), Emsdetten (2006), Winnenden und Ansbach (beide 2009) haben tiefe Spuren hinterlassen. Die Vorstellung, ein Schüler oder auch ein völlig Fremder könnte während der Unterrichtszeit schwer bewaffnet ein Schulgebäude betreten und gezielt Menschen töten, stellte sowohl die Schulen selbst als auch die Polizei vor völlig neue Herausforderungen. Das Amok-Sicherheitssystem setzt vor allem auf Prävention. Manche der Täter waren als Sonderlinge bekannt, die durch Selbstmorddrohungen oder Gewaltfantasien aufgefallen waren. Solchen Hinweisen sollen Schulen und Behörden früher nachgehen. Auch Notfallszenarien wurden entwickelt. In Winnenden warnte die von der Polizei entwickelte Lautsprecherdurchsage "Frau Koma kommt" die Lehrer, die viele Schüler noch in Sicherheit bringen konnten.

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