Dressierte Wildheit

TRIER. (woc) Die Hohe Schule der Reiterei präsentierte die Pferdeshow Apassionata in Trier. In den beiden Vorstellungen am Samstag waren insgesamt 40 Pferde – vom Kaltblut bis zum Araber – und 70 Reiter zu sehen. Beide Shows waren bis auf Restkarten ausverkauft.

Schon das erste Bild lässt denen, die Pferdegeruch als süßen Duft und nicht als Gestank nach Mist und Stall empfinden, einen Schauer über den Rücken laufen: Vier Karthäuser-Hengste stürmen - ohne Sättel und Zaumzeug - die Arena, dass die weißen Schweif- und Mähnenhaare fliegen. Die Jungtiere spielen ein wildes Spiel, bei dem schonmal ein Huf den Rücken oder Hals des Kameraden trifft. Das ausgelassene Balgen hat gleichzeitig eine große Ruhe und wirkt wie von unsichtbarer Hand geführt - der Herdentrieb lässt die Pferde auch im schnellsten Galopp immer gemeinsam die gleichen Wendungen nehmen. Die Wild- und Zügellosigkeit sind Ergebnis langer Dressurarbeit: Die Hengste reagieren auf kleinste Handzeichen ihrer Trainer und sind so sehr an Scheinwerfer, Musik und Zuschauer gewöhnt, dass sie scheinbar ihre natürliche Schreckhaftigkeit verloren haben. "Vier Jahreszeiten" heißt die Show, mit der Apassionata seit Herbst durch Deutschland, Österreich und die Schweiz tourt. Der logistische Aufwand ist erheblich: Mehr als 30 Helfer sind nötig, um die Veranstaltungshallen pferdegerecht zu präparieren: Stallzelte werden aufgebaut, Hallenboden und Gassen mit Gummimatten ausgelegt, auf denen 60 Tonnen Sand verteilt werden. Über 1,5 Tonnen Stroh - ungepresst das Volumen eines Einfamilienhauses - und 70 Ballen Heu werden pro Wochenende benötigt. Dazu kommen weitere Futtermassen, Requisiten, Sättel, Zaumzeug und Kostüme. Nötig sind dafür sieben Transport- und vier Pferde-LKW mit sieben Pferdehängern. Ein Tierarzt gehört ebenfalls zur Crew. Die schweren Friesen: kraftvoll und elegant

Dass alle Pferde der Show Hengste sind, hat mehrere Gründe: Zum Wesen der männlichen Pferde gehört es, sich präsentieren zu wollen. Sie tragen die Köpfe stolzer und traben schwungvoller als Stuten - und haben dadurch einen natürlichen "Showeffekt". Wären Stuten dabei, käme es außerdem zu starkem Dominanzverhalten und Kämpfen um die Position des Leithengstes - kein Dresseur der Welt könnte diesen starken Trieb wohl unterbinden. Den Sommer in der Jahreszeitenshow repräsentieren vier feurige Spanier, die mit ihren kleinen, schnellen andalusischen Hengsten durch die Arena galoppieren, dass der Sand nur so spritzt. Die südländischen Pferderassen dominieren die Show: Araber, Andalusier, Lippizaner und Achal Tekkiner eigenen sich gut für die spanische Dressurschule und ihre schwierigen Lektionen, wie das Steigen und Schreiten auf der Hinterhand, die den Pferden viel Kraft und Willen abverlangen. Den englischen Reitstil zeigen zwei Reiterinnen mit ihren Oldenburgern in einem klassischen Pas-de-Deux: losgelassen präsentieren die Warmblüter höchste Dressurschwierigkeiten, schreiten zurück und galoppieren aus der Rückwärtsbewegung an, strecken die Vorderbeine beim Trab beinahe waagerecht nach vorn und tänzeln in perfekter Harmonie und Gleichzeitigkeit auf der Stelle. Danach wechseln sich Bodendressuren ab mit einer Voltigier-Nummer auf Weltklasseniveau und Clownereien mit Eselchen und Ponys. Am beeindruckendsten sind allerdings die vier schweren Friesen mit ihren Reitern in Fantasiekostümen: Die Kaltblut-Pferde, die eigentlich für die Arbeit vor der Kutsche oder im Wald gezüchtet wurden, zeigen ein kraftvolles und trotzdem elegantes Pas-de-Quatre. Die Behäbigkeit dieser Rasse ist bei der Galoppaden nicht zu spüren. Die schwarzen Giganten sind nach gut zwei Stunden auch die Stars des Schlussbildes: Besonders die kleinen Mädchen hält nichts mehr auf den Sitzen. Sie klettern auf die Manegen-Umrandung und vergraben ihre Hände in den dicken Mähnen der gutmütigen Tiere. Was auf dem Weihnachtswunschzetteln dieser Mädchen steht, ist unschwer zu erraten.

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