Ein Blaustrumpf unterwegs

IRSCH. Von Twist bis Tango, von Swing bis Schlager – Anneliese Natus machte Musik, die in die Beine und ins Herz ging. In den 50er- und 60er-Jahren erlebte die heute 74-Jährige goldene Zeiten, stand auf Bühnen und Podien in berühmten Varietees, Bars, Theatern und ging tingeln.

Sportlehrerin wollte sie als Mädchen werden. Anneliese Natus lebte in Zwickau und lief für ihre gewünschte Sportlerkarriere jeder Ehrung und jedem Pokal hinterher. Doch ihr Leben sollte in anderen Bahnen verlaufen. Nach dem Zweiten Weltkrieg las sie in der Zeitung eine Annonce. "Junges Mädchen gesucht", stand dort. Ein Kapellmeister, Geiger und Saxophonist hatte inseriert, der in Zwickau auf Tournee war und Musikunterricht geben wollte. Anneliese fasste den Entschluss, sich bei ihm vorzustellen. "Es hatten sich viele dort beworben", erinnert sie sich. Auf den Musiker scheint sie großen Eindruck gemacht zu haben, denn er sagte: "Dich behalte ich."Erstes Engagement: "30 Alberti Mädels"

Obwohl Anneliese Bandoneon spielte und auch ihre Familie musikalisch war, konnte sie keine Noten lesen und musste alles neu lernen. Ihr Mentor gründete mit ihr am Saxophon, seiner Frau an der Posaune und einem dritten Mädchen an der Trompete die erste Damenkapelle, in der Anneliese spielen sollte. 1949 bekam sie ein Engagement bei den "30 Alberti Mädels", ein Orchester der Spitzenklasse in der ehemaligen DDR. Ballett-Darbietungen und Artisten begleiteten die jungen Musikerinnen. Sie waren auf Tournee durch das ganze Land, gaben Gastspiele auf Rügen, in Dresden und in Berlin. 1951, Anneliese Natus erinnert sich noch genau an diese Zeit, sollte das Orchester, bislang ein Privatunternehmen, "volkseigen werden, und die wollten uns für ihre Zwecke einspannen". Sie floh zwei Jahre später aus der DDR, "die Angst im Genick". Mit der S-Bahn fuhr sie nach West-Berlin, nur mit einem kleinen Köfferchen, der Kleidung, die sie trug, und ihrer Klarinette. Das Saxophon ließ sie zurück. Schließlich kam sie nach Gießen, arbeitete als Hauswirtschafterin bei wohlhabenden Leuten in Wiesbaden, später als Mechanikerin bei Siemens. Ein neues Engagement bei den Albertis auf Zypern musste sie ausschlagen. Dann jedoch suchten "Thea Muschalla und ihre Melodie Ladies" Musikerinnen, und Anneliese nahm bei ihnen 1956 ihre Karriere als Saxophonistin wieder auf. Sie reiste durch die ganze Republik, durch die Schweiz, bis sie in Vichy zur namhaften Gruppe "Hanny's Dutch Sisters" kam. "Das war ein schönes Orchester", sagt Anneliese Natus. Aufwändige Kostüme und Bühnenprogramme zeigten die "Schwestern". Eine Holland-, Western- und Wiener-Show gehörten ebenso zum Repertoire wie die heiße Cuba-Show und der Cancan, den Anneliese selbst mittanzte. Doch es herrschte ein strenges Regiment, die Mädchen mussten ihre Pässe abgeben und sich vertraglich an übertrieben harte Regeln binden.Im Publikum saß stets ein junger Mann

Eine Art "Befreiung" war es, als Anneliese Natus mit ihrer Freundin Ruth, einem "Allround-Talent", 1961 nach Trier kam und mit der Kapelle von Elfriede Rodler im Schiefferkeller aufspielte. Das war das erste Haus am Platze. Im Keller und im Café Astoria traten viele Kapellen und Künstler von Rang auf. Im Publikum saß jeden Abend ein junger Mann, Georg, der die hübsche Anneliese anhimmelte, sich ein Herz fasste und das ganze Orchester auf einen Drink einlud. Wie so oft in Musikerkreisen haben Künstlerin und Fan geheiratet, leben noch heute zusammen. Obwohl sich Anneliese erst bei den Schwiegereltern beweisen musste. Als Sohn Oliver 1963 zur Welt kam, verließ Anneliese Natus die Kapelle, die bald darauf ganz auseinander ging. Denn "ich war die treibende Kraft". Anneliese tingelte noch alleine die Mosel rauf und runter, half in einigen Kapellen aus, spielte beim Hans-Hülf-Sextett vor und beeindruckte die Herren Musiker. "Das war eine schöne Zeit. Früher gab es in Trier an jeder Ecke Musik, und die Leute flanierten am Abend durch die Straßen. Es ist schade dass es das so nicht mehr gibt", sagt die 74-Jährige, und etwas Wehmut schwingt mit. "Aber ich hatte wirklich ein schöneres Leben, als wenn ich Sportlehrerin geworden wäre."

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