Ein Stück Kindheit geben

TRIER. Ein "Lichtblick" ist selten im Leben eines Kindes, bei dem Mama oder Papa suchtkrank sind. Das gleichnamige Projekt des Trierer Kinderschutzbundes will helfen, Lichtblicke zu schenken.

Es ist Nacht. Eine völlig betrunkene Frau wird in ein Trierer Krankenhaus eingeliefert. Im Delirium erinnert sie sich an ihre drei kleinen Kinder, die allein zu Hause geblieben sind.Gemeinsam mit einer Kollegin macht sich Elke Boné, zweite Vorsitzende des Kinderschutzbundes Trier, auf den Weg.In der stinkenden und verwahrlosten Wohnung suchen sie nach den Kindern. Bewaffnet mit Gummihandschuhen und Mülltüten kämpfen sie sich zu einem neunjährigen Jungen durch. "Soll ich euch zeigen, wo meine Geschwister sind?", fragt er mit leisem Stimmchen. Die vierjährige Schwester hat sich in einer Anrichte versteckt, ein Säugling liegt unter Bergen dreckiger Wäsche in seinem Bett.Ein Ausnahmefall? Nein. Drei Millionen Kinder leben bundesweit in Suchtfamilien. Allein in der Region Trier sind es, unter Berücksichtigung der Dunkelziffer, mindestens 5000, erfasst sind 1000.Das Initiativprojekt "Lichtblick" soll den Kindern suchtkranker Eltern ein Stück Kindheit zurückgeben. "Das Projekt beinhaltet präventive Hilfen für Kinder und Jugendliche aus Familien Suchtkranker durch Gruppenangebote, therapeutische Hilfestellung und Freizeitmaßnahmen, durchgeführt von Fachpersonal", erläutert Elke Boné.In Familien mit Suchterkrankung gibt es wiederkehrende Verhaltensmuster. Sie versuchen sich durch Geheimhaltung zu schützen, die Familienatmosphäre ist gespannt.Kinder erscheinen in keiner Statistik

"Oft kommt es zu einem Rollentausch. Die Kinder übernehmen die Verantwortungsbereiche der Eltern, weil diese dazu nicht mehr in der Lage sind", erklärt Boné. Häufig komme es zu sexueller Belästigung oder Gewalt. "Diese Kinder leiden unter Vertrauensverlust und Verunsicherung. Lichtblick will, dass sie erleben, dass ihre Erfahrungen und Gefühle ernst genommen werden", sagt Boné. "Sie brauchen viel Ermutigung und Möglichkeiten, ihre Gefühle auszudrücken. Sie sollen erfahren, dass die Situation nicht ihre Schuld ist und sie sich nicht dafür schämen müssen".Das Projekt sieht eine Anlaufstelle für etwa 30 Kinder vor, für Mädchen ist eine eigene Gruppe geplant. Idealerweise soll es ein Haus geben, in dem Kinder in Notfällen kurzfristig untergebracht werden können. Das Projekt hat auch stark präventiven Charakter. Laut Statistik der Fachhochschule Köln werden 30 bis 40 Prozent der Kinder aus Suchtfamilien später selbst suchtkrank. "Wenn man als Kind keine Strategie erlernt, mit Problemen umzugehen, greift man zu denen, die man von den Eltern kennt", nennt die zweite Vorsitzende des Kinderschutzbundes den Grund. Hinzu kommen Kinder, die wegen krankhaften Alkoholgenusses der Mutter während der Schwangerschaft am so genannten fetalen Alkoholsyndrom FAS erkranken.Die Krankheit unterscheidet drei Schweregrade, mit fließenden Übergängen. Der dritte Grad ist an Kleinwuchs oder geistigen Entwicklungsverzögerungen eindeutig zu diagnostizieren. Beim zweiten Grad gibt es auch äußere Merkmale, die sich beim Heranwachsen aber verflüchtigen können. Es bleibt eine kaum diagnostizierbare geistige Beeinträchtigung.Unter den ersten Schweregrad fallen Auswirkungen der mütterlichen Sucht in Form von ausgeprägten Verhaltensauffälligkeiten. Nur 40 Prozent der letzten beiden Schweregrade werden erkannt. Das Projekt ist vor allem deshalb wichtig, weil Kinder in die Therapien nicht integriert sind. Nur für Suchtkranken selbst gibt es Hilfe. Die Stadt freut sich über das Projekt, das am 1. Juli 2004 starten soll und sich ausschließlich über Spenden finanziert. "Lichtblick überzeugt durch die Mischung unterschiedlicher Ansätze", urteilt das Amt für soziale Gemeinschaftsaufgaben.Für das Projekt werden noch Ehrenamtliche gesucht. Infos beim Kinderschutzbund, Telefon 0651/9911300 oder unter www.kinderschutzbund-trier.de. Spenden auf das Konto 132 282 , Sparkasse Trier, Stichwort "Lichtblick". Am 12. Dezember um 19 Uhr wird das Projekt mit einer Podiumsdiskussion im Palais Walderdorff vorgestellt.

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