Ein Zeichen setzen wider das Vergessen

TRIER. (ph) Kein weißer Kragen, keine noch so schlichte Fliege ziert die Sängerhälse, kein Decolleté betont die Grazie der Sängerinnen. Ganz in schwarz und hoch geschlossen erscheint das "Ensemble Vocal Grenzgänger" im Museum Simeonstift und macht schon durch die Kleidung offenbar: Zu feiern gibt es nichts, nur zu gedenken - gedenken der "Fallenden Sterne", der während des Dritten Reiches verfolgten Künstler.

Verzweifelt, trauernd, klagend - anklagend beginnt das Konzert, mit Gregorio Allegris Fragment "Miserere" und Gregorij Sviridovs "Lament". "Ohnmacht" hat der Chor den ersten Teil seiner Darbietung überschrieben, und eben jenes Gefühl breitet sich spätestens dann im Gewölbe des ehemaligen Klostersaals aus, als Vic Nees "De profundis" erschallt. Mal ängstlich und zaghaft, dann wieder eindringlich und schrill entweicht das Klagelied den Kehlen. Als die Nationalsozialisten im Januar 1933 die Macht in Deutschland übernahmen, brach nicht nur für ihre politischen Gegner und die Juden, sondern auch für viele Künstler eine Zeit der Vertreibung, Verfolgung und Ermordung an. Alles, was dem NS-Apparat als "undeutsch" oder "entartet" galt, wurde verbannt, verbrannt, verboten. An diejenigen Interpreten und Komponisten, die dieses Schicksal erlitten, zu erinnern, auch anlässlich des Nationalen Gedenktages an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar - das war das Anliegen des Konzertsabends Fallende Sterne. "Wir gedenken, um nicht zu vergessen", sagt Chorleiter Martin Folz, der die Sänger am Synthesizer begleitet, zu Konzertbeginn. Er erinnert daran, dass die nächste Generation ohne noch lebende Zeugen des Grauens aufwachsen werde und mahnt: "Es ist an der Zeit, Zeichen zu setzen, wider das Vergessen." Ein solches Zeichen sollen die "Fallenden Sterne" sein. Sie sind das erste Konzertprojekt, das das deutsch-luxemburgische "Ensemble Vocal Grenzgänger" verwirklicht. Der Chor gründete sich im Mai 2003 anlässlich der Verleihung der Ehrenbürgerwürde der Stadt Trier an den luxemburgischen Premierminister Jean Claude Juncker. Knapp 30 Sänger aus Trier und Luxemburg haben in dem Ensemble zusammengefunden, unter ihnen Mitglieder des Friedrich Spree Chores sowie Dozenten der luxemburgischen Konservatorien.Schrecken der Diktatur gegenwärtig

Mit Hanns Eislers "Es sind die alten Weisen" beginnt der zweite Konzertabschnitt "fallende Sterne". Die Musik wird nun harmonischer, der Gesang sanfter - so bei "Abendland III" des Trierers Alfred Müller-Kranich, einer Uraufführung, so bei Martin Folz‘ in schwindelnde Tonhöhen entführendem "Eternity". Doch der Schrecken der NS-Diktatur bleibt gegenwärtig, nicht zuletzt durch die zwischen den Stücken vorgetragenen Texte: Bertholt Brechts "Tagebuchskizzen eines Exilanten", Nelly Sachs‘ "Chor der Sterne" und Paul Celans noch immer unter die Haut gehende "Todesfuge". Davor bringen die Grenzgänger eine weitere Uraufführung zu Gehör, die "Litanei" des Luxemburgers Camille Kerger. Vielstimmig Vornamen flüsternd ist ihr Beginn, ehe sie anschwillt zu einem anklagenden, hämmernden Wirrwar aus Namen verfolgter Künstler: Hanns Eisler, Paul Dessau, Arnold Schönberg, Béla Bartók und all die vielen anderen, deren Liste dem selbsternannten Volk der Dichter und Denker auf ewig zur Schande gereicht. Im dritten Teil - "erneuere unsere Tage" - wird es dann etwas versöhnlicher, mit Igor Strawinskys "Pater noster" und Felix Mendelssohn-Bartholdys "Verleih uns Frieden". Doch als nach gut einer Stunde der letzte Ton verklungen ist, spendet das allzu spärliche Publikum nur zögernd, fast ängstlich Applaus. Freude, Begeisterung gar findet sich nicht auf den Gesichtern. Denn zu feiern gab es nichts an diesem Abend. Nur zu gedenken.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort