Eine Straße für Heinz Kahn

Trier · Rund 3500 Juden haben vor dem Holocaust in der Region gelebt, nur 14 kehrten nach dem Krieg in die Stadt zurück. Einer von ihnen, Heinz Kahn, ist im Februar mit 91 Jahren gestorben. Die Trierer Arbeitsgemeinschaft Frieden bringt die Idee auf, eine Straße nach ihm zu benennen.

Trier. Es gehört wohl zum Wesen des Nationalsozialismus und der Judenvernichtung, dass die Ereignisse mit jeder Annäherung nur umso monströser erscheinen - und oft auch immer unerklärlicher: Woher nahmen viele, die dem Terror gerade einmal mit dem nackten Leben entronnen waren, die Kraft zum Weiterleben - manchmal gar in direkter Gesellschaft der Verantwortlichen? Solche Fragen kommen unweigerlich in den Sinn, betrachtet man die Lebensstationen von Heinz Kahn, einem der wenigen jüdischen Überlebenden des Holocaust aus der Region, der 1922 in Hermeskeil geboren wurde, und der am 9. Februar gestorben ist.
Heinz Kahns Vater Moritz war Tierarzt in Hermeskeil - und, wie viele andere Familienmitglieder auch, hochdekorierter Soldat im Ersten Weltkrieg. Das verhinderte aber nicht, dass die Familie gleich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten schikaniert und gedemütigt wurde: Dem Vater wurde die Befugnis zur Fleischbeschau entzogen, nach vielen vorigen Diskriminierungen musste Heinz 1936 die Schule verlassen, um sie "judenrein" zu machen.
Auch das nur ein dunkler Prolog zur tödlichen Konsequenz, mit der der deutsche Rassenwahn schließlich auch die Kahns heimsuchte: Aus Trier, wohin die Kahns mittlerweile gezogen waren, wurden sie nach Auschwitz deportiert. "Heinz, Du kommst zur Arbeit, Du musst überleben!", waren die letzten Worte, die er am 13. März 1943 von seinem Vater vor der Selektion hörte. Ihn, seine Mutter Elise und seine Schwester Gertrud sah er nie wieder.
Heinz Kahn überlebt erst Auschwitz als "Funktions-Häftling", später muss er im KZ Buchenwald toten Häftlingen die Goldzähne herausreißen. Am 11. April wurde er in Buchenwald von den Amerikanern befreit. Eigentlich unfassbar: Der damals 23-Jährige blieb nicht nur im Land der Täter, sondern baute aus kläglichen Trümmern Neues auf: Er wurde Mitbegründer und erster Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde von Trier. Außerdem holte er sein Abitur nach und wurde, wie sein Vater, Tierarzt. Er heiratete Inge Hein, sicherlich eine Seelenverwandte: Die Jüdin aus Cochem wurde als 14-Jährige mit ihren Eltern in ein Konzentrationslager gebracht - und kehrte alleine zurück.
Mit ihr zog Heinz Kahn nach Polch. Das Paar bekam fünf Kinder und betrieb lange Jahre eine Tierarztpraxis. 1987 wurde Heinz Kahn zudem Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde Koblenz. Zeit seines Lebens engagierte sich Kahn gegen das Vergessen: Bei den Frankfurter Auschwitz-Prozessen wurde er als Zeuge gehört, weil er während seiner Zeit in Auschwitz Akten vor der Vernichtung bewahrt hat. Später trat er als Zeitzeuge in Schulen und bei vielen Veranstaltungen auf.
Am 9. Februar ist Heinz Kahn 91-jährig gestorben. Jetzt schlägt die Trierer Arbeitsgemeinschaft Frieden (AGF) vor, eine Straße in Trier nach ihm zu benennen.
"Natürlich hätten auch andere Überlebende eine solche Ehrung verdient", sagt Markus Pflüger von der AGF. Er findet aber, dass Kahn aufgrund seiner vielfältigen Tätigkeiten eine "Symbolfigur für das Überleben und den Widerstand gegen den Holocaust\'" sein könne.
Dabei ist Pflüger aus Erfahrung klar, dass es auch bei positiver Reaktion seitens der Stadt noch eine Weile dauern kann, bis aus der Idee Wirklichkeit wird: Eine entsprechende, vor rund drei Jahren gestartete Initiative bezüglich einer anderen Trierer Holocaust-Überlebenden und Widerstandskämpferin wird im Herbst dieses Jahres Früchte tragen - dann soll in Feyen eine Orli-Torgau-Straße eingeweiht werden. fgg
Die AGF ist ein überkonfessioneller, parteipolitisch unabhängiger und gemeinnütziger Verein, der sich nach seinem eigenen Verständnis für Frieden, Gerechtigkeit und Menschenrechte einsetzt. Die AGF wurde 1979 gegründet und wird von rund 260 Mitgliedern getragen, von denen sich etwa 40 aktiv in Arbeitskreisen, im Vorstand oder im Weltladen engagieren. Weitere Infos zum Verein gibt es im Internet unter www.agf-trier.de

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