Eine Trierer Zeitungsträger-Dynastie

TRIER. Für ein paar Pfennige am Tag begann Christina Stoffel im Februar 1953 als Trägerin beim Volksfreund . Nächste Woche feiert die rüstige Dame ihr 50. Dienstjubiläum, im Juli ihren 90. Geburtstag ­ doch ans Aufhören denkt sie noch lange nicht.

 "So habe ich viel Bewegung": Die 89-jährige Christina Stoffel trägt seit 50 Jahren in Ehrang die Zeitung aus.Foto: Dagmar Schommer

"So habe ich viel Bewegung": Die 89-jährige Christina Stoffel trägt seit 50 Jahren in Ehrang die Zeitung aus.Foto: Dagmar Schommer

Quinter Straße, Merowinger Straße, Alemannen-Straße ­ auf ihrer Route kennt Christina Stoffel jeden Stein. Seit fast 50 Jahren trägt die 89-Jährige in Ehrang die Zeitung aus. Um 3 Uhr morgens macht sie sich auf den Weg. Knapp zwei Stunden schiebt sie ihr Fahrrad von Haus zu Haus, bis sie ihre 75 Exemplare ausgeliefert hat. Bei Wind und Wetter ist Frau Stoffel unterwegs. Kein Wunder, dass sie sich besonders im Winter auf die Beschaffenheit der Wege konzentriert. "Nicht überall wird gestreut und geräumt, und manche Wege sind auch noch unbeleuchtet", berichtet die Trägerin. Häufiger sei sie bereits gestürzt ­ zuletzt kurz vor Weihnachten. "Da ging es mir nicht schnell genug, und dann bin ich mit dem Fahrrad an einer Mauer vorbei geschrappt." Aber ernsthaft verletzt hat sie sich noch nicht. Auch verschlafen habe sie in den 50 Jahren so gut wie nie. "Sogar im Urlaub wache ich spätestens um 6 Uhr auf. Obwohl ich mir keinen Wecker stelle."Nach der ersten Seite gleich das Horoskop

Früher hat Christina Stoffel jeden Tag die Zeitung ausgetragen. Seit drei Jahren übernimmt sie nur noch eine Runde in der Woche. Es sei denn, sie vertritt eine Kollegin. "Ob ich jetzt einfach so spazieren gehe oder die Zeitung austrage ­ ich soll ja wegen meiner Zuckerkrankheit viel laufen. Und so bekomme ich genug Bewegung", sagt die Ehrangerin. Wenn Frau Stoffel gegen fünf Uhr vom Austragen nach Hause kommt, blättert sie erst mal die Zeitung durch ­ immer in der gleichen Reihenfolge: "die erste Seite komplett von oben nach unten, als Zweites das Horoskop und dann den Rest". Anschließend legt sie sich nochmal bis 8 Uhr schlafen. "Außer dienstags, da stehe ich früher auf, weil ich noch schwimmen fahre." Als die Ehrangerin anfing, die Zeitung auszutragen, blieb zum Schwimmen keine Zeit. Zwei Töchter im Alter von acht und zehn Jahren hatte sie zu versorgen. 1953 war das. "Da ist meine Nachbarin gestorben, die bis dahin im nördlichen Teil von Ehrang die Zeitung austrug." So um die 2,50 Mark im Monat habe der Volksfreund damals gekostet, hatte natürlich keine Farbbilder und zählte weniger Seiten ­ "und auch viel weniger Werbung", erinnert sich Christina Stoffel. "Aber was hätte man in der Zeit auch großartig bewerben sollen. Die meisten Leute hatten ja kaum Geld." Als Trägerin habe sie sich ein paar Pfennige jeden Tag dazu verdient. "Krankengeld oder Urlaubs- und Weihnachtsgeld so wie heute, das gab es alles nicht.""Das bleibt alles an uns hängen"

Überhaupt sei früher einiges anders gewesen. Die ersten fünf Jahre hat Frau Stoffel ihr Zeitungspaket am Ehranger Bahnhof abholen müssen, seit 1958 bekommt sie die Ausgaben in ihre Garage geliefert. "Der Ehranger Bahnhof, der war sehr zerstört worden", erinnert sie sich. Ehrang sei auch viel kleiner gewesen ­ "auf der Heide, das waren ja nur ein paar Häuschen". Heute ziehen die Leser viel häufiger um. Etwa 16 Zu- und Abgänge hat die altgediente Austrägerin jeden Monat. "Die schreibe ich mir immer auf, damit ich nicht durcheinander komme." Ärger gibt es manchmal trotzdem: "Vor allem in den Hochhäusern werden immer mal wieder Zeitungen geklaut. Und dann bekommen wir die Beschwerden, weil die Leute denken, wir hätten sie vergessen. Das bleibt alles an uns hängen." So früh wie heute habe sie in den 50er Jahren die Zeitung nicht ausgetragen. "Aber heute ist manchen ja 5 Uhr schon fast zu spät". Einige Leser würden die frühe Lieferung aber auch mit einem Trinkgeld an Weihnachten oder Neujahr honorieren. "Aber seit wir nicht mehr abkassieren gehen, sondern alles überwiesen wird, ist das mit dem Trinkgeld auch weniger geworden." Doch missen möchte Christina Stoffel ihre Route auf gar keinen Fall: "So lange wie es noch eben geht, werde ich weitermachen." Ihr Beispiel fand Nachahmer im Familienkreis: "Eine meiner beiden Töchter, ihr Mann und deren Sohn haben im Laufe der Zeit auch mal ein paar Jahre die Zeitung ausgetragen." Insgesamt zählt Frau Stoffel sieben Familienmitglieder auf, die sich als Träger etwas dazu verdienten. Heute teilt sie sich den Job mit ihrer Enkelin Gerlinde Thul. Und schmunzelnd ergänzt sie: "Naja, und meine Urenkelin wollte auch schon mitlaufen."

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