Eine nicht vergessene Geschichte

TRIER. (rm.) Auf großes Echo stieß der Beitrag "Der Schatz der Erinnerungen" in der "Impulse"-Beilage des Trierischen Volksfreunds vom 2. Juli. Darin ging es um die 79-jährige Triererin Rosa Lenz, die im Rentenalter mit dem Aufschreiben ihrer Erinnerungen begann und einige ihrer Geschichten demnächst als Buch veröffentlicht. Zahlreiche TV -Leser baten um eine Kostprobe. Mit freundlicher Genehmigung von Rosa Lenz kommen wir diesem Wunsch gerne nach. Die folgende Geschichte hat sich im Winter 1944/45 in Liesenfeld (bei Emmelshausen, Rhein-Hunsrück-Kreis) zugetragen.

 Schreibt ihre Erinnerungen für nachfolgende Generationen auf: Rosa Lenz (links) aus dem Stadtteil Feyen-Weismark, hier mit Schwiegertochter Marita Lenz und Enkel André.Foto: Roland Morgen

Schreibt ihre Erinnerungen für nachfolgende Generationen auf: Rosa Lenz (links) aus dem Stadtteil Feyen-Weismark, hier mit Schwiegertochter Marita Lenz und Enkel André.Foto: Roland Morgen

Es sind wahre Helden, von denen ich berichten will. Menschen, die ihr Leben aufs Spiel setzten, um einem Kriegsgefangenen zu helfen. Vor vielen Jahren erzählte die Tochter mir von den Ereignissen, die sich im Krieg abgespielt hatten. Auch die Mutter sprach oft davon, so dass ich versichern kann, dass die Geschichte wahr ist.Kriegsgefangener versteckt sich in Scheune

Damals, als die Männer fast alle an der Front kämpften, hatten es die Bauern schwer, die Landwirtschaft aufrecht zu erhalten. Es waren die Frauen, die den Betrieb meisterten. So war auch die Lies eine starke Frau, in jeder Hinsicht. Ihr Glaube und Gottvertrauen gaben ihr Kraft und Zuversicht. Um die ganze Arbeit zu bewältigen, die sie mit ihrem Mann August nicht schaffen konnte, wurde ihnen ein Kriegsgefangener zugeteilt. Felix, ein Franzose, war ein fleißiger, braver Bursche. Er arbeitete, als wäre es sein eigener Besitz. Lies und August waren sehr froh mit ihm, sie konnten sich auf ihn verlassen. Es war streng verboten, dass die Gefangenen am Tisch der Familie mit aßen. Das störte die Lies nicht. Sie behandelte Felix, als wäre er ihr Sohn. Das erleichterte ihm das Leben in der Fremde. Er sehnte sich nach dem fernen Frankreich und seiner Familie. Die Front kam auch im Westen näher, und alle Gefangenen sollten über den Rhein, weiter ins Land verlegt werden. Felix hatte Angst, dann nicht mehr heim zu kommen. Diese Angst trieb ihn mitten in der Nacht zurück nach Liesenfeld. Er klopfte ans Fenster von August und Lies. "Augustin, mach mir auf, ich will nicht fort!" "Aber das geht doch nicht", war die Antwort; "Du weißt das doch." Die Lies war stärker. Sie beschwor ihren Mann, den armen Kerl aufzunehmen. Neben dem Wohnhaus war eine Scheune, vollgestopft mit Heu und Stroh fürs Vieh. Da hinein baute sich Felix eine Höhle. Lies versorgte ihn mit Decken und Wärmflaschen, damit er nicht fror, denn es war Winter. Die Höhle war so gebaut, dass Felix durch einen winzigen Spalt frische Luft bekam. Tagsüber musste er in seinem selbst gebauten Gefängnis ausharren, bis es dunkel war. In der Nacht ging er in den Garten, um sich zu bewegen. In dem Bauernhaus war auch der Schweinestall. Die Schweine mussten regelmäßig gefüttert werden, und wie immer tat das die Lies. Aber in dem Schweinefressen hatte sie das Essen für Felix versteckt. Niemand wusste von der Sache, nicht einmal die eigene Tochter. Die Angst vor Entdeckung war immer da, einen ganzen Winter lang. Hätte man sie erwischt, wäre die ganze Familie ausgelöscht worden. Als die Amis kamen, war Felix frei. Er kam in ein Sammellager und von dort aus nach Hause. 1976 besuchten wir ihn mit der Tochter von August und Lies und ihrem Ehemann in Frankreich. Er war überglücklich. Aber sein Wunsch, noch einmal nach Liesenfeld zu kommen, erfüllte sich nicht. Leider verstarb er kurz vorher. Diese Geschichte habe ich aufgeschrieben, um die braven Leute zu ehren und damit ihre Tapferkeit nicht vergessen wird. Rosa Lenz

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