Eingreifen, laut werden, Alarm schlagen

Eine Zwölfjährige wird während einer Busfahrt von zwei Jugendlichen bedrängt, belästigt und geschlagen. Niemand hilft ihr, obwohl Zeugen solcher Aktionen viele Möglichkeiten haben, richtig zu reagieren.

Trier. Die Polizeiinspektion Trier sucht momentan nach zwei 14 bis 15 Jahre alten Jugendlichen, die am Freitagabend in einem Bus der Linie 83 zwischen der Treveris-Passage und der Clara-Viebig-Straße ein zwölf Jahre altes Mädchen mit Schlägen ins Gesicht und Berührungen im Intimbereich bedrängt und angegriffen haben (der TV berichtete). Keiner der Fahrgäste griff ein."Man muss sich fragen, ob die Aktionen als Angriff oder Straftat erkennbar waren", sagte Polizei-Sprecherin Monika Peters. "Wenn drei Jugendliche in einem vollen Bus dicht zusammen sitzen, ist es möglicherweise problematisch, zu erkennen, was dort vor sich geht."

Dieses Argument soll jedoch kein Freibrief dafür sein, wegzusehen. Schließlich beschreibt die Polizei Rheinland-Pfalz in ihrer Aktion "Wer nichts tut, macht mit" genau, wie ein Zeuge helfen kann - auch wenn er in einem fahrenden Bus sitzt und kein Handy zur Hand hat.

Das Gesetz definiert die unterlassene Hilfeleistung in Paragraph 323c des Strafgesetzbuchs: "Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich ist und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft." Wer sieht, wie zwei Jungs im fahrenden Bus ein Mädchen quälen, aber nicht sicher ist, ob er direkt eingreifen kann, ohne sich dabei selbst in Gefahr zu bringen, kann immer noch laut werden, andere Fahrgäste und den Busfahrer auf das Geschehen aufmerksam machen und vor allem die Täter mit der Ansage abschrecken, dass sie beobachtet und der Polizei gemeldet werden. "Es ist sehr wichtig, sich als Zeuge zur Verfügung zu stellen", so Monika Peters. Noch sucht die Polizei nach Fahrgästen, die mit dabei waren, als die beiden Jungs das Mädchen angrapschten.

Der Fahrer des Busses der Linie 83 hat offenbar den Angriff nicht gesehen. "Bei uns ist nichts vermerkt", sagte SWT-Sprecher Carsten Grasmück gestern. "Wenn der Fahrer eine solche Aktion bemerkt oder von einem Fahrgast darauf aufmerksam gemacht wird, kann er sofort über Funk die Zentrale informieren, die dann die Polizei verständigt." Der Fahrer kann auch direkt in Aktion treten, indem er die Täter aus dem Bus wirft oder sie - diese Chance hat jeder mutige Zeuge - an ihren Attacken hindert und bis zum Eintreffen der Polizei festhält. Wenn er sich das zutraut. Der Gesetzgeber zwingt weder den Fahrer noch den Zeugen, sich in Gefahr zu begeben.

Die Beschreibung der Täter, die am Montag vermutlich auch einen 18-Jährigen in der Linie 3 angegriffen haben: Einer ist 1,65 Meter groß und hat schwarzes, vorne hoch gegeltes Haar, der zweite Täter ist 1,70 Meter groß und hat schwarzes Haar mit kleinen Locken sowie einen dunklen Teint. Die Polizei nimmt Zeugenaussagen unter 0651/2019-221 und 0651/9779-2290 entgegen.

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Meinung

Moralische Katastrophe

Wer bereits als Betroffener oder als Zeuge in einer Notsituation war, der weiß, dass der Alltag sich in Sekunden in eine Katastrophe verwandeln kann. Gerade dann sind Nerven und Konsequenz wichtiger als alles andere. Niemand muss sich spontan in Bruce Lee verwandeln, aber es kann notwendig werden, auch körperlich einzugreifen. Wer das nicht will oder schafft, kann laut werden, um Hilfe rufen, Alarm schlagen. Doch gar keine Reaktion ist eine moralische Katastrophe - und außerdem strafbar. j.pistorius@volksfreund.de

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