Einheits-Satire im Museum

TRIER. Nachdenklich, witzig und spöttisch war das Programm, das der Saarbrücker Kabarettist Jürgen Albers und der Männerkammerchor Ensemble 85 zum "Tag der Deutschen Einheit" im Museum Simeonstift präsentierten. "Wir sind das Volk?" überzeugte nicht nur durch musikalische Vielfalt, sondern auch durch teils brillante Texte.

Ja, es ist wirklich schon fast 14 Jahre her, dass wildfremde Menschen sich in Berlin in den Armen lagen, schwarz-rot-goldene Fahnen schwenkten und einfach nur glücklich waren. Die Mauer war gefallen, und ein knappes Jahr später, am 3. Oktober 1990, folgte ihr die DDR nach: Deutschland war wiedervereinigt. Seitdem feiern wir ihn jährlich aufs Neue, den "Tag der Deutschen Einheit". Doch immer noch gibt es Schwierigkeiten, die das Zusammenwachsen von Ost und West erschweren. "Wir sind das Volk?" - Für Jürgen Albers ist aus dem einst so trotzigen Slogan der Leipziger Montagsdemonstrationen längst eine Frage geworden. Und überhaupt: Ist der untergegangen geglaubte Sozialismus tatsächlich tot?Großer Bruder aus dem Fernsehen

Albers jedenfalls sieht mit satirischem Blick und angesichts nicht enden wollender Wähler-, Zuschauer- und Hörerumfragen, die dann auch die jeweiligen politischen und Rundfunkprogramme bestimmen, so manches Gesellschaftsprinzip der DDR auch in der wiedervereinigten Bundesrepublik verwirklicht. Die schwindende Freiheit des Individuums, der Niedergang der politischen Kultur und immer wieder die Medien - das sind die Themen von Albers, der neben seiner Bühnentätigkeit als Radiomoderator arbeitet. "Wir sind schon einen Schritt weiter als Orwell: Wir haben Big Brother im Fernsehen", sagt Albers und erntet Szenenapplaus des Publikums, das die Stuhlreihen im Museumssaal fast vollständig füllt. Doch der Kabarettist - dessen neuestes Buch "Der kleine Großmeister. Erleuchtete Satiren" vor kurzem erschienen ist, bekleidet an diesem Vormittag eher eine Nebenrolle. Denn seine kurzen Texte sind meist eine Einführungen zu den Liedern, die das Ensemble 85 vorträgt. Den Anfang macht das aus dem 18. Jahrhundert stammende Freiheitslied "Die Gedanken sind frei", gefolgt von dem von Heinrich Schütz komponierten "Wie nun Ihr Herren" und dem "Wiegenlied aus dem 30-jährigen Krieg". So unterschiedlich die Epochen, so vielseitig auch das Repertoire des 15-köpfigen Chors. Während man bei der "Eidgenossen Nachtwache" von Robert Schumann die Einsamkeit der schweizerischen Bergwelt förmlich zu spüren glaubt, kommt beim bitter-bösen "Fernsehschaun" der "Biermöslbloasn" Bierzeltstimmung auf. Stimmlich sicher, zeigt das Ensemble 85 im Museum Simeonstift auch schauspielerische Qualitäten, allen voran Chorleiter Martin Folz, der das Programm zusammen mit Albers konzipiert hat.Aus der Feierlaune zurück in die Realität

Wer den singenden Folz zu dem Konstantin-Wecker-Song "Frieden im Land" vor seinem Synthesizer hüpfen und springen sieht, das lange blonde Haar wild um sich schüttelnd, dem kommt der Gedanke an Rumpelstilzchens Feuerstelle. Doch immer, wenn das Publikum so richtig in Feierlaune kommt, holt es der Chor durch Nachdenkliches oder gar Ergreifendes wieder zurück in die raue Realität. Etwa mit dem Traditional "Zu Straßburg auf der Schanz", dem Monolog eines französischen Widerstandskämpfers am Vorabend seiner Hinrichtung durch die deutschen Besatzer. Ein Vormittag zwischen Ausgelassenheit und Anteilnahme, zwischen Ironie und Inbrunst: "Wir sind das Volk?" traf das nationale Befinden an diesem 13. Tag der Deutschen Einheit auf den Punkt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort