Endlich "Amis" sehen

Gerade in den kleinen deutschen Dörfern verlief der Einmarsch der Amerikaner 1944/45 ohne größere Zwischenfälle. An die ersten Tage der Besatzungszeit in Mertesdorf erinnert sich Franz Schröder.

Da in dem Ort aber auch gar nichts los war, wir aber endlich "Amis" sehen wollten, sind wir durch das Lauchagrundtal auf den großen Inselberg gewandert. Wir, das waren Karl und Jupp, ein Gleichaltriger aus dem Ort mit Namen Karl Heinz und ich. Bis zum Inselberg sind wir nicht gekommen, links und rechts von der Straße lag eine Fülle von Kriegsmaterial, viele Autos und viele Fahrräder. Aber alles verbrannt und ausgeglüht. Die abziehenden Soldaten müssen eine Menge Benzin mit sich rumgeschleppt haben, um die vielen Feuerchen machen zu können. Wir haben uns gräulich geärgert, nicht, weil wir in den Schrotthaufen nichts Brauchbares finden konnten, sondern weil wir den blutroten Feuerschein nachts für eine heroische Schlacht gehalten hatten. In der Frühe des nächsten Tages hörte man von der durch den Ort verlaufenden Kreisstraße Motorenlärm. Ich lief eilig dorthin, und da waren sie dann, die Amis. Eine endlose Kolonne von lehmfarbigen Fahrzeugen mit einem großen aufgemalten Stern, mit waffenstarrenden Soldaten mit ebenfalls weißen Sternen an den fremdartigen Helmen. Kein Mensch ging, alles fuhr. Was mir auffiel, war die Einheitlichkeit des Wagenparks. Es waren nur drei Fahrzeugtypen auszumachen. Bei der deutschen Wehrmacht war immer ein buntes Sammelsurium an Typen zu sehen gewesen. Aus einem der Fahrzeuge wurde mir eine angebrochene Tafel Schokolade zugeworfen. Aus der Kolonne scherten plötzlich einige Fahrzeuge aus und fuhren in den Ort. Tabarz war damit erobert. Mit Kennerblick wurden einige schöne Villen ausgesucht und die Bewohner ohne viel Umstände auf die Straße gesetzt. Auch Einerts Haus wurde für würdig befunden, und da sich unser Häuschen auf dem gleichen Grundstück befand, mussten wir es verlassen, und zwar innerhalb weniger Minuten, ohne etwas mitnehmen zu dürfen. Vergeblich hatte ich mit einem der Hausbesetzer palavert, aber es nutzte nichts. In dem leeren Laden eines Textilgeschäfts haben wir einige Tage gehaust. Das Leben normalisierte sich rascher, als nach der totalen Niederlage zu erwarten gewesen wäre. Man brauchte nicht zu verdunkeln, und die Angst vor der Zukunft war schon wesentlich geringer geworden. Um die Leute zu ängstigen, sind wir mit strammem deutschen Gruß in die Läden gegangen, wo man uns vorher auf unser "Guten Tag" mit "Heil Hitler" geantwortet hatte, bis uns das zu dumm wurde. Mit den Amis haben wir uns Dank meines radebrechenden Englischs gut verstanden. Meine Mutter hat ihnen gegen Zigaretten die Wäsche gewaschen und meine 18-jährige Schwester hat mit einem der GI's posiert. Die Fraternisierungsverbote haben die Jungs aus Iowa oder Kentucky wenig gestört. Offenbar hat man über die Verhaltensmaßregeln von impotenten alten Herren in der Regierung nur nachsichtig gelächelt. Franz Schröder, Mertesdorf

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