"Es herrschte Alarmstufe Rot" - Plädoyers im Baumprozess: Staatsanwalt fordert milderes Urteil

Trier · Der Verteidiger fordert Freispruch, die Staatsanwaltschaft eine Halbierung der bisherigen Geldstrafe. Das Urteil im Berufungsprozess um das tödliche Baumunglück vom November 2012 fällt am Tag vor Heiligabend.

Es war ein Unglück - darin sind sich Verteidiger, Staatsanwaltschaft und Nebenkläger einig. Wäre die Rosskastanie im Wilhelm-Rautenstrauchpark am 22. November 2012 nachts auf eine menschenleere Straße umgestürzt - es hätte wohl keinen Prozess gegeben. Dabei wäre das Vergehen des nun angeklagten städtischen Gärtners kein anderes gewesen. Aber der Baum fiel am helllichten Tag, lautlos, erschlug eine 70-Jährige und verletzte einen 59-Jährigen schwer. Der Angeklagte hatte - obwohl Vorarbeiter mehrfach darauf drängten - den Baum keiner eingehenden Zweitkontrolle unterzogen, bei der die Bruchgefahr wohl aufgefallen wäre. Am Freitag standen die Abschlussplädoyers vor dem Trierer Landgericht an:

Verteidiger Roderich Schmitz: "Es gibt allgemeine Lebensrisiken, die nicht auf den Angeklagten T. abgewälzt werden dürfen." Zwar habe T. gewusst, dass der Baum eingehend untersucht werden muss. Aber laut Dienstanweisung habe er für die rund 100 Bäume, die für Zweitkontrollen vorgesehen waren, bis Ende Dezember 2012 Zeit gehabt.

"Selbst für die drei Gutachter, die wir im Prozess gehört haben, war es zudem schwierig zu beurteilen, wie alt der Baum war, welche Pilze ihn befallen hatten und wo sein Stamm letztlich genau gebrochen ist. Wir können vom Angeklagten nicht verlangen, dass er mehr weiß, als diese Gutachter." Schmitz plädierte auf Freispruch.

Staatsanwalt Arnold Schomer: "Es gibt wohl niemanden, der sich nicht ebenfalls schon einmal getäuscht hat in der Wichtigkeit einer Sache." Richtig sei auch, dass es im Nachhinein sehr viel einfacher sei, den Zustand des morschen Baums zu beurteilen. "Trotzdem liegt eine individuelle Sorgfaltsverletzung vor. Es war dem Angeklagten möglich, das Unglück vorauszusehen." Der Baum sei seit Juli für die Zweitkontrolle vorgemerkt gewesen, T. habe dann "vier Monate lang einfach nichts gemacht". Die Gesamtumstände seien allerdings strafmildernd zu bewerten: "T. hat sich nichts zuschulden kommen lassen. Zudem gibt es Mitverantwortliche im Rathaus - die allerdings strafrechtlich nicht zu belangen sind. Dazu kommt ein Pechelement - der Baum ist nicht nachts, sondern am Tag gefallen."

Die im ersten Prozess verhängte Strafe -120 Tagesätze à 40 Euro - will Schomer auf 60 Tagessätze à 30 Euro senken.

Rechtsanwältin Anne Bosch (vertritt den Witwer der beim Baumunglück Verstorbenen als Nebenkläger): "Bei diesem Baum herrschte Alarmstufe Rot! Der Angeklagte hätte bei der Menge der Zweitkontrollen die richtigen Prioritäten setzen müssen und die Rosskastanie - die an einer stark frequentierten Straße und in Nähe eines Spielplatzes stand - sofort eingehender untersuchen müssen."

Rechtsanwalt Ottmar Schaffarczyk (vertritt den Mann, der bei dem Baumsturz schwerstverletzt wurde): "Der Zweck der Nebenklage ist, dass die Opfer Genugtuung erfahren. Dieser Zweck wurde in diesem Prozess nicht erfüllt, weil der Angeklagte sich nicht zu seiner Schuld bekennt."

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