"Es ist nie mein Unglück"

TRIER. Die Berufsfeuerwehr Trier feiert Dreifachjubiläum: Die Einrichtung der Feuerwehr besteht seit 160 Jahren, der Rettungsdienst seit 100 und der Notarztdienst seit 30 Jahren. Aus diesem Anlass stellt der TV in einer Serie die wichtigsten Bereiche der Feuerwehr vor. Dazu zählt auch die Notfallseelsorge.

Das Zugunglück von Eschede mit 101 Todesopfern am 3. Juni 1998 brachte die Wende: "Nach dieser Katastrophe, bei der 80 Notfallseelsorger im Einsatz waren, ist das Thema Notfallseelsorge erstmals in die Öffentlichkeit gerückt", berichtet Dirk Breidenbach, Pastor im Sonderdienst für Krankenhaus- und Notfallseelsorge im Kirchenkreis Trier. Ein Netz von Seelsorgern sei in den vergangenen Jahren im gesamten Bundesgebiet geknüpft worden. "Die Notwendigkeit dieser Angebote bestreitet niemand mehr", erzählt Dirk Breidenbach. In Trier sei die Sonderdienststelle vor drei Jahren eingerichtet worden. Breidenbach selbst ist seit sechs Jahren in diesem Bereich und seit September 2003 in Trier tätig. Mit ihm sind vier weitere evangelische und 13 katholische Pfarrer in der Seelsorge aktiv. Eine entsprechende Ausbildung hätten alle über drei Monate während ihres Studiums sowie anschließend in speziellen Kursen für die Notfallseelsorge genossen. "Es gibt zwei Wege, wie wir ins Spiel kommen", erläutert Breidenbach. "Zum einen kann sich die Polizei direkt an uns wenden, wenn es darum geht, eine Todesnachricht zu überbringen und die Beamten einen Seelsorger zur Unterstützung mitnehmen möchten." Obwohl er wisse, dass der Trierer Polizeipräsident dieses Angebot bei seinen Mitarbeitern kommuniziert habe, werde es wenig genutzt. Zum anderen würden die Seelsorger über die Zentrale Leitstelle in Trier alarmiert, die alle Rettungseinsätze koordiniert. Der Notarzt veranlasse den Einsatz eines Seelsorgers - allerdings stets nur nach Einwilligung der Betroffenen, beziehungsweise der Angehörigen. Die Häufigkeit dieser Einsätze sei sehr unterschiedlich. Ein- bis zweimal pro Woche würde im Schnitt ein Seelsorger angefordert. "80 Prozent meiner Einsätze sind im häuslichen Bereich", sagt der 43-Jährige. Dabei teilt Breidenbach die privatesten Momente mit ihm bis dahin völlig fremden Menschen. Nach Sterbefällen sitzt der gebürtige Wuppertaler häufig als einer der Ersten bei den Angehörigen im Wohnzimmer. "Die Verfassung dieser Menschen ist unterschiedlich. Das reicht von Apathie bis zur Ekstase. Ich muss mich darauf einlassen und erstmal abwarten, was kommt." So habe Breidenbach einmal bei einem älteren Herrn gesessen, dessen Frau kurz zuvor verstorben war. "Wir haben uns eine geschlagene Stunde gegenübergesessen und kein Wort gewechselt. Auf eine Frage reagierte der Mann gar nicht. Ich merkte aber, dass mein Dasein ihm gut tat. Als ich ihn dann nach einer Stunde fragte, ob es okay sei, wenn ich jetzt ginge, ließ er mich gehen." Wochen später habe sich dieser Mann in einem Brief bei Breidenbach dafür bedankt, dass er diese Situation ausgehalten habe. "Es gibt kein Patentrezept für ein bestimmtes Verhalten in diesen Situationen." Das hilflose, schnelle Trösten spare er sich allerdings. "Ich bemühe mich eher, den Menschen zu helfen, sich selbst wieder zu fangen." Das gelinge nach seiner Erfahrung häufig darüber, dass sich die Menschen im Zusammensein mit ihm an die gemeinsame Zeit mit dem Verstorbenen erinnern "und plötzlich mit einem Lächeln über den geliebten Menschen erzählen. Das Erinnern an die gemeinsame Geschichte ist das, was in diesem ersten Schmerzzustand helfen kann". Einmal habe Breidenbach mit einem Herrn drei Stunden am Totenbett seiner Frau im Schlafzimmer gesessen und dem gerade Verwitweten zugehört. Ob das gelegentlich befremdend sei? "Nein, das ist es nie", antwortet der Seelsorger. "Ich bin fremd, aber jemand, der Anteil nimmt und durch mein Einfühlungsvermögen und das Gespräch versuche, wieder Halt zu geben." Eine Aufgabe, die den zweifachen Familienvater häufig extrem fordert. Etwa vor einem Jahr, als er zu einer Familie gerufen wurde, in der gerade der 41-jährige Familienvater einem Herzinfarkt erlegen war, und die Frau den fünf Kindern zwischen zwei und sieben Jahren die Nachricht überbringen musste. "Die Kinder haben mich gefragt, ob ich mit ihnen was spielen kann, was ich natürlich getan habe. Das war das skurrilste Uno-Spiel meines Lebens. Zwischendurch haben die Kinder immer wieder geweint und mich gefragt, wo ihr Papa jetzt sei." Wichtig sei für ihn persönlich - aber auch, damit er den Menschen eine Stütze sein kann - sich abzugrenzen. "Kein Einsatz lässt mich kalt. Aber ich weiß, dass es nicht mein Unglück ist. Das muss man sich immer wieder sagen."

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