Geschichte – greifbar und ergreifend

TRIER. Was als Aktion des Kulturvereins Kürenz begonnen hat, wird nun durch eine Kooperation mit dem Fach Neuere und Neueste Geschichte der Universität Trier akademisch. Nach der Aufarbeitung von knapp 80 Biografien von Verfolgten im Nationalsozialismus kann der Kölner Künstler Gunter Demnig schon bald neue Stolpersteine verlegen.

"Dieses Seminar ist wirklich spannend", freut sich Wiebke Herber nach einer langen Sitzung im A-Gebäude der Uni Trier. Ihr Kommilitone Florian Konrads ergänzt: "Das Seminar ist besser als der übliche theoretische Unterricht."Deportationslisten und Krankenakten

Die beiden Studierenden besuchen ein seit der Novelle der Studienordnung von 2001 verpflichtendes Projektseminar, bei dem eine "praxisorientierte, selbständige Aneignung des Stoffes" gefördert wird. Dies bedeutet Recherche in Archiven, Interviews mit Zeitzeugen und eine ordentliche Spur detektivisches Geschick. Das Seminar mit dem Titel "Stolpersteine in Trier - öffentliche Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus in Trier" wurde initiiert von dem Trierer Historiker Thomas Schnitzler, der es gemeinsam mit Professor Lutz Raphael, Thomas Grotum und Hannes Platz leitet. "Unser Ziel ist es, lokale Opfer-Biografien zu erarbeiten, um die Verlegung neuer Stolpersteine von Gunther Demnig vorzubereiten", erläutert Thomas Grotum. Und dies ist je nach Quellenlage ein schwieriges Unterfangen: "Es ist schon frustrierend, wenn man nichts findet", sagt Sarah Engel. Da die Archivrecherche nicht ergiebig war, hat eine Kommilitonin schon 20 Familien mit demselben Familiennamen abtelefoniert, um Daten zu einem Opfer herauszubekommen - mit Erfolg. Die meisten Angaben zu den Opfern wurden im Stadtarchiv Trier gefunden, wo die 32 Studierenden beispielsweise Deportationslisten, Hausakten, Krankenakten und Einwohnerverzeichnisse sichten. Eine gemeinsame Exkursion in das Landeshauptarchiv Koblenz hat weitere Lücken geschlossen. "Das Engagement ist überdurchschnittlich hoch", konstatiert Thomas Schnitzler, der für die bereits 39 in Trier gelegten Stolpersteine die Schicksale und Lebensdaten herausgefunden hat und weiß, wie aufwändig dies ist. "Geschichte wird greifbar", benennt es Sonja Hoenzelaer kurz und prägnant und spricht damit auch das Ergreifende an, das bei der Spurensuche zu Tage kommt. So hat eine Studentin den Dankesbrief einer Mutter gefunden, die sich mit warmen Worten bei der Klinik Hadamer für die fürsorgliche Betreuung der Tochter bis zu deren Tod bedankt. Die Landesheilanstalt Hadamar in Limburg für "psychisch Kranke und geistig Behinderte" war tatsächlich eine getarnte Gasmordanstalt des Deutschen Reiches, in der allein in den Jahren 1940/41 über 10 000 Menschen ermordet wurden - die Familienangehörigen erhielten Sterbepapiere mit gefälschten Angaben.Biografien von Euthanasieopfern

Neben Biografien von Euthanasieopfern und Juden bearbeiten die Studierenden knapp 80 Schicksale von Sinti und Roma, so genannten Asozialen und politisch Verfolgten aus Trier und der Umgebung. Sobald die Opferbiografie geklärt ist und der letzte Wohnort der Opfer herausgefunden ist, kann Gunter Demnig einen Stolperstein in den Gehweg setzten - damit die Erinnerung da stattfindet, wo das Opfer im Leben stand.

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