Götterspeise und Religions-Tüv

TRIER. Geistreiche Spitzfindigkeit, gepaart mit dem Humor einer rheinischen Frohnatur – dies erwartete zuletzt das Publikum in der Tuchfabrik Trier. Der bekannte Kölner Kabarettist Jürgen Becker widmete sein Programm "Ja was glauben Sie denn?" dem Sinn und Unsinn der Religion(en).

Mit Narrenkappenhirschgeweih und Schützenuniform kennt man ihn aus Fernsehsendungen wie "Mitternachtsspitzen". Kein Wunder daher, dass der Kabarettist Jürgen Becker es schafft, die Tuchfabrik Trier mehr als nur zu füllen. Viele müssen wieder nach Hause gehen, die 300 Plätze im großen Saal sind schnell ausverkauft. Und dann geht es endlich los. Mit viel Schwung und Elan eroberte er rasant die Bühne und ruft auf seine Kölsche Art: "Ja, dann woll'n wer uns ma jen schönen Abend machen!" Den Erwartungen und seinem Ruf als Spitzenkabarettist wird Becker mit seiner furiosen Show mehr als gerecht, zumal er ein Thema aufgreift, das uns alle angeht: "Man kann ja nichts mehr glauben!" Schlagender Beweis: "Trier kriegt einen Bürgermeister, der nicht von der CDU ist!" Randphänomen, angesichts eines Papstes, der sich in Bayern wegen der Auferstehung des Fleisches wohlfühlt, oder der Frage: "Müssen wir nach dem Tod weiterarbeiten? - Wäre bei manchen Behörden ja kein Problem." Solche Betrachtungen führen Becker zum Tod als Schlüssel zu Evolution und Religion. Und zwar über den Schädel Schillers, den er, mit Narrenkappe bekleidet, dabei hat: "Heißt nicht, dass der was mit Karneval zu tun hat, trotz der Gruppe ,De Räuber' - aber die haben andere Texte". Nein, Schillers Schädel habe Goethe zu Nachforschungen über die menschliche Abstammung gebracht. Es folgt ein Exkurs über die Entstehung der Erde mit Seitenhieben auf die Schöpfungsgeschichte, weiter geht es mit Darwin: "Man kann tatsächlich Zweifel an der Evolutionstheorie bekommen, wenn man Bush sieht. Wie kann der nach Einstein leben?" Charmante Tabubrüche, die nicht weh tun

Und dann kommt die Sache mit dem großen Gehirn, das wir Menschen nur haben, weil wir Verlierer der Evolution sind, die unfähig, sich ohne zu denken einen Platz zu sichern, immerzu kompensieren müssen. Darin begründe sich Religion, "Hirnforschung ohne Abitur" oder praktische Alternative zum "Navi": "Wir denken uns einen Punkt über uns, und denken: Was denkt der über mich?" Problem nur, dass das Opferkult und anderen Schlamassel mit sich zieht: "Köln in der zweiten Liga - die müssten den Geißbock am Spielfeldrand verbrennen!" Fundiert und spitzfindig zerlegt Becker Geschichte und Mythen der Weltreligionen, deckt deren Ähnlichkeiten auf und reduziert ihre Bedeutung auf ein wohltuend alltägliches Maß. Tabubrüche in Serie, aber so charmant, dass sie nicht wehtun, sondern einfach amüsieren, zum Beispiel in der Geschichte um einen Kölner und einen Türken, die sich, beide in Ballonseidenanzügen und "Asiletten" um ihre Autos kümmern. Der Kölner kippt einen Eimer Wasser darüber, der Türke schneidet mit der Flex ein Stück Auspuff ab: "Wenn Du Deinen taufst, kann ich meinen auch beschneiden". Fazit des intelligent unterhaltsamen Abends, der mit gemeinschaftlichem Gesang kölscher Karnevalshits gelegentlich in die fünfte Jahreszeit führt: Religion ist als "Versicherung" nicht ganz untauglich, Wissenschaft und Religion liegen nicht weit auseinander, und zum Glück gibt es das Frohnatur-Wesen des Rheinländers. Das äußert sich im Abschlusslied (in Hirschgeweih und Schützenuniform): "Wie gut, dass ich nicht evangelisch bin!" und in einer Runde Frei-Kölsch für alle.

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