Granaten – unser liebstes Spielzeug

RUWER. Für Kinder bargen die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs viele Gefahren, nicht nur herumliegende Munition und der Anblick unzähliger Toter.

Am 4. oder 5. März 1945 erlebte ich Ortsgruppenleiter Konrad mit einigen jüngeren Volkssturmmännern vor dem Hause Bartzen (Zeye Lutz) in der Paulinstraße (Im Paulinsgarten). Von dort konnte man über die Weinberge der Felsenmühle zur Balesmühle schauen. Dort stand in der Haustür ein amerikanischer Soldat. Die Amerikaner hatten einige Tage zuvor vom Grüneberg her einen Vorstoß unternommen und einen Abschnitt von Balesmühle bis ungefähr zur heutigen Kläranlage besetzt. Ein Übergang über die Ruwer wurde von den deutschen Soldaten, die in den Weinbergen und im Karthäuser Wäldchen lagen, aber abgewehrt, und so warteten die Amerikaner in Ruhe auf Verstärkung. Konrad forderte die Volkssturmmänner auf, den Soldaten unter Feuer zu nehmen. Diese nahmen ihre Gewehre und schossen in die Luft. Sie alle hatten schon dem Alkohol zugesprochen und ließen sich nicht mehr auf riskante Scharmützel ein. Wutentbrannt zog Konrad seine Pistole und feuerte mehrere Schüsse in Richtung des Soldaten. Doch die Entfernung war zu groß und der Amerikaner zeigte keinerlei Reaktion. Damit waren die Volkssturmaktionen beendet. Es dauerte bis zum Morgen des 6. März, als die Amerikaner im Gänsemarsch durch die Weinberge von Karthäuser und Duisburger Hof herunterkamen und über die Eitelsbacher Straße sowie über die Bahngleise nach Ruwer einrückten. Einwohner der Paulinstraße hatten weiße Tücher aus den Fenstern gehängt. Konrad und Paulus wurden an der heutigen Longkampstraße gefangen genommen und mussten verletzte amerikanische Soldaten vom Karthäuser Wäldchen und aus den Weinbergen ins damalige Krankenhaus (Kloster) transportieren. Beim Abzug der Wehrmacht wurde die Ruwerbrücke gesprengt. Nachdem Ruwer eingenommen war, fuhren hier und bei Pfalzel schwere Panzer mit Artillerie auf, von wo sie das Feuer auf das heiß umkämpfte Gebiet um Waldrach und den vorderen Hochwald eröffneten. Auf der Pfalzeler Seite zählte ich allein um die 30 Panzer, die feuerten. Auch bei der Walzenmühle Stücken standen amerikanische Panzer und schossen Salven Richtung Hochwald. Wir Jungen liefen unter den Geschützrohren hindurch, und die Soldaten freuten sich, wenn wir uns bei den Abschüssen erschraken. An einem jener Tage hatte ich mich durch die Weinberge bis zum Karthäuser Wäldchen vorgewagt. Deutsche Soldaten lagen noch tot in den Einmannlöchern, tote Amerikaner waren abtransportiert. Nur ihre Rucksäcke, Tragetaschen und Schnellfeuergewehre waren überall zu finden. Neben dem Haus Willwersch stand das Haus Junk. Es war baufällig und wurde von den Amerikanern als Leichenhaus genutzt. Das Erdgeschoss und die erste Etage waren belegt mit toten Amerikanern. Nach einigen Tagen kam ein großer amerikanischer Lastwagen mit Einachshänger und Aufbauten. Die Soldaten trugen auf Tragbahren ihre toten Kameraden, nur mit der Hose bekleidet, heraus, und stellten sie kurz auf die Straße ab. Ein Offizier führte eine Liste und trug dort die Daten der Erkennungsmarken ein. Danach wurden die Toten verladen. Es hat mir damals einen kleinen Schock versetzt, dass man so mit toten Menschen umgehen könnte. Kriegsgerät lag überall in großen Mengen. Angefangen von Schnellfeuergewehren, Handgranaten, Geschützgranaten. Und das war unser liebstes Spielzeug. Es wurden Granaten aufgeschlagen, Handgranaten geworfen. Sprengsätze gelegt. Einige Jungen kamen dabei ums Leben, darunter auch mein damals jüngster Bruder im Bunker Auf dem Schälenberg. Da es damals noch keinen Sprechfunk gab, legten die Fernmeldetrupps der Amerikaner unzählige Telefonleitungen. Diese wurden einfach in geringer Höhe an die Bäume genagelt und mit ein oder zwei Eierhandgranaten verbunden, als tödliche Warnung vor Manipulationen. Einige Tage nach dem Einmarsch der Amerikaner kam eine Ausgangsbeschränkung. Wir durften nur von 7 bis 8.30 und von 16.30 bis 18 Uhr das Haus verlassen. In diesen Zeiten mussten wir unsere Kleintiere im Garten versorgen. Bei ihrem Einmarsch hatten die Amerikaner unsere Bienenkästen aufgebrochen, und die Bienenvölker waren erfroren. Sonst mussten sie jeden Tag im Winter mit Zuckerwasser gefüttert werden. Aber nach einiger Zeit nahmen die Amerikaner die Ausgangssperre nicht mehr so genau. Der erste Ortsbürgermeister musste die Viehbestände aufnehmen und den Amerikanern gewisse Tiere abliefern. Äcker mussten einen Hinweis erhalten, wer der Eigentümer war. Wurde über eine festgesetzte Menge geerntet, musste sie abgeliefert werden. Im Sommer 1945 war das Leben schon einigermaßen erträglich. Josef Zock, heute 70 Jahre alt, war lange Zeit als Setzer beim Trierischen Volksfreund beschäftigt.

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