Gut leben am "Irsch der Welt"

IRSCH. Wohl dem Irscher, der einen fahrbaren Untersatz besitzt. Der kann die hohe Lebensqualität seines Stadtteils voll auskosten. Wer auf den ÖPNV angewiesen ist, der fühlt sich "am Irsch der Welt" (so die örtliche Harmlos-Variante als Synonym für verlassene Gegend).

Sich als Irscher per Bus auf Einkaufstour begeben - das kann sich schnell zu einer Halbtages-Veranstaltung entwickeln. Die Linie 3 zum nächstgelegenen Einkaufszentrum auf der Tarforster Höhe fährt an Werktagen einmal pro Stunde. Wer die 26 über Olewig zur City verpasst, muss eine halbe Stunde auf den nächsten Wagen warten. Spät abends und am Wochenende ist Stundentakt mit der Linie 84 angesagt. Man kann es auch positiv sehen: Obwohl sieben Kilometer von der City entfernt, hat Irsch eine ebenso "gute" Busanbindung wie die Weismark. Weitere Gemeinsamkeit: Auch in Irsch gibt es keinen Lebensmittelladen, keine Bäckerei und keine Post mehr. 2002 machte auch die Volksbank dicht, und von ehemals vier Gaststätten sind nur noch zwei übrig geblieben. Immerhin: Das Elektrogeschäft Dahm als einziges Überbleibsel einer ehemals blühenden dörflichen Infrastruktur hält sich wacker. "Die Besorgungen für den täglichen Bedarf lassen sich nicht mehr im Stadtteil erledigen. Das ist unserer großes Problem", sagt Ortsvorsteher Erwin Berg (66; CDU); "Irsch hat sich zur reinen Schlafstadt entwickelt." Und bietet dafür ganz andere Qualitäten. "Wir liegen in einer schönen Landschaft, haben eine hohe Naherholungs-Qualität, tolle Wanderwege und ein florierendes Vereinsleben", preist Berg die Vorzüge des geschichtsträchtigen Höhenstadtteils, den sich die Stadt Trier mit sieben weiteren Vororten anno 1969 einverleibte. Pfarrkirche in ehemaligem "Finanzamt"

Sehr zum Unmut vieler Einheimischer. Der Ur-Irscher und "ewige Ortsvorsteher" Berg (seit 29 Jahren im Amt) hegt immer noch leichten Groll: "Wir hatten den schlechtesten Eingemeindungs-Vertrag von allen und wurden dennoch stiefmütterlich behandelt." Auf die von der Stadt versprochene Einsegungshalle am Friedhof warten die Irscher heute noch. Eines allerdings lässt sich dem Rathaus nicht in die Schuhe schieben: Die Straßenreinigung ist gemäß Eingemeindungs-Vertrag nach wie vor Sache der Irscher. "Ich habe den Eindruck, dass manche Mitbürger das noch nicht richtig zur Kenntnis genommen haben", übt der Ortschef leise Kritik. Gar kein Verständnis bringt er für die Raser auf, die sich im alten Ortskern (Georg-/Irscher Straße) nicht ans Tempo-Limit halten und vor allem alte Menschen und Kinder gefährden - ein hausgemachtes Problem, denn Durchgangsverkehr plagt Irsch nicht. Allenfalls der rege Spielbetrieb auf der Vereinsanlage des SV Trier-Irsch 1948 (hier tragen auch die Kicker der SSG Kernscheid ihre Heimspiele aus) und die Feste der anderen Ortsvereine ziehen scharenweise "Auswärtige" an den südöstlichen Stadtrand. Dabei bietet der anno 975 urkundlich erwähnte, aber in seinen Wurzeln bis in die Römerzeit zurückreichende 2400-Einwohner-Ort bemerkenswerte Baudenkmäler - und ein Kuriosum. Die Pfarrkirche St. Georg befindet sich in der ehemaligen "Zehntscheune", gewissermaßen ein Vorläufer heutiger Finanzämter, denn dort hatten die Bauern einst zehn Prozent ihre Ernte als Steuer als Steuern zu entrichten. Von der 1833 abgerissenen baufälligen Kirche steht nur noch der gotische Turm. Vom Gotteshaus durch die Propstei-Straße getrennt, dient er nach wie vor als Glockenturm. Am 5./6. Juli entwickelt Irsch wieder Anziehungskraft weit über die Stadtteil-Grenzen hinaus. Dann veranstaltet der Musikverein sein beliebtes "Sommernachtstraum"-Fest mit Feuerwerk am Samstagabend. Berg betrachtet auch diese Veranstaltung als Ausdruck eines funktionierenden Gemeinwesens: "Bei uns lässt sich's gut leben." Da widersprechen selbst autolose Irscher nicht. Montag: Unbekannt und unentbehrlich - das Wasserwerk.

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