Gutachter entlastet Angeklagten im Trierer Baumprozess

Trier · Ortstermin beim Grünflächenamt: Das Landgericht Trier hat sich am Montagmorgen die Überreste des Baums angesehen, der im November 2012 im Rautenstrauchpark umstürzte, eine 70-jährige Triererin erschlug und einen weiteren Passanten schwer verletzte. Ein Gutachter entlastet den Angeklagten.

Auch heute noch sieht die ehemals 18 Meter hohe Kastanie sehr mächtig aus. Die Überreste des während der Bergung zersägten Stamms lassen erahnen, welche enormen Kräfte gewirkt haben müssen, als der Baum am 22.November 2012 plötzlich kippte und auf die Rautenstrauchstraße stürzte. Die Staatsanwaltschaft klagte einen Sachbearbeiter des Grünflächenamts an, das Amtsgericht sprach ihn vor knapp einem Jahr der fahrlässigen Tötung und Körperverletzung schuldig (siehe Extra). Dagegen hat der 54-jährige Gärtnermeister Berufung eingelegt.
Die Berufungsverhandlung vor dem Landgericht ging gestern in den sechsten Tag und dauert bereits jetzt doppelt so lange wie die erste Auflage im November 2013. Die Kernfrage des Prozesses prägte am Montag den Ortstermin beim Grünflächenamt und die anschließende Verhandlung im Gerichtssaal: War es dem Angeklagten überhaupt möglich, im Rahmen seines dienstlichen Alltags und mit den ihm zur Verfügung stehenden Strukturen zu erkennen, wie sehr die Standsicherheit der Kastanie gefährdet war? Nein, sagen er selbst und sein Verteidiger Roderich Schmitz. Nein, sagt auch der Sachverständige Hans-Joachim Schulz, der im Auftrag des beschuldigten Gärtnermeisters ein Gutachten erstellt hat.

Ein Pilz hat den Stamm der Kastanie angegriffen - das hat bereits der 2013 von der Staatsanwaltschaft Trier beauftragte Sachverständige Martin Pfeiffer festgestellt. "Aber diese Pilzart lebt nicht unterirdisch", betonte Gutachter Schulz am Montag vor Gericht. Doch die Kastanie sei unter der Erde abgebrochen - das haben seiner Ansicht nach die Untersuchung des Baums und auch der Ortstermin klar ergeben. Dagegen gab es am Montag keinen Widerspruch vor Gericht - weder von seinem Kollegen Pfeiffer, der ebenfalls in der Berufungsverhandlung sitzt, noch von einem der Anwälte oder dem Vorsitzenden Richter Peter Egnolff.

Die Überreste der Kastanie zeigen jedoch klar ein morsches und faules Wurzelwerk. "Das war ein völlig anderer Pilz", erklärt Schulz. Ein anderer Pilz, den offenbar bisher niemand untersucht oder identifiziert hat.

Da die Gefahr unter der Erde lag, hätte der Angeklagte sie auch bei einer eingehenden Untersuchung des Baums nicht erkennen können - so argumentierte Gutachter Schulz. "Mit dem technischen Equipment der Stadt Trier kriege ich in einer solchen Situation kein klares Urteil hin." Die Notwendigkeit einer aufwendigen Freilegung des Wurzelraums oder eines pro Baum bis zu 2000 Euro kostenden sogenannten Zugtests, den das Grünflächenamt mangels Ausrüstung an eine externe Firma hätte vergeben müssen, sei nicht zu erkennen gewesen.
Die Berufungsverhandlung geht am 29. Oktober und 3. November weiter.

Extra
Das Amtsgericht Trier verurteilte den angeklagten Sachbearbeiter des Grünflächenamts Ende November 2013 wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 40 Euro. Die Begründung: Der Angeklagte sei innerhalb des Grünflächenamts für eingehende Kontrollen von Bäumen zuständig, die aufgrund von Schäden oder Krankheiten auffallen. Die Kastanie im Rautenstrauchpark sei ihm bereits am 23. Juli von einem Kollegen als verdächtig gemeldet worden. Der Angeklagte habe eine intensive Kontrolle angekündigt, aber nicht durchgeführt.

Mit 4800 Euro übertraf die von Richter Wolf-Dietrich Strick verhängte Geldstrafe die Forderung von Staatsanwalt Arnold Schomer um weit mehr als das Doppelte. "Der Baum hat am 23. Juli zu Ihnen gesprochen", so der Richter in seiner Begründung. "Er hat gesagt: Ich kann nicht mehr, nimm mich hier weg." jp

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