Gute Seele am Bahnhof

TRIER. 20 Jahre lang leitete Anne Reuter die Bahnhofsmission am Hauptbahnhof. Sie brachte allein reisende Kinder zum richtigen Zug, half Müttern mit kleinen Kindern beim Aussteigen und vermittelte Asylsuchenden die richtigen Anlaufstellen.

Kalt weht der Wind auf Bahnsteig 11. Wer nur mit einem Koffer aus dem Zug steigt und orientierungslos auf dem Trierer Hauptbahnhof landet, den kann schnell eine betrübte Stimmung befallen. Rettungsanker in der Tristesse ist da eine Tür auf Gleis 11 Nord zu den Räumen der Bahnhofsmission. Dort war die Leiterin Anne Reuter 20 Jahre lang mit einer wärmenden Tasse Kaffee und einem netten Gespräch zur Stelle. Im "Helfen" sah Anne Reuter ihre Lebensaufgabe, die sie auch von 1971 bis 1983 beruflich zum Familienerholungswerk der Erzdiözese Freiburg führte. Dort leitete die Triererin Mutter-Kind-Kuren und einen Kindergarten. Doch nach ihrem 40. Geburtstag zog es sie zurück in ihre Heimatstadt. Bei der Bahnhofsmission fand sie einen neuen Mittelpunkt für ihre Berufung zum "Helfen". Mit bis zu zwölf ehrenamtlichen Mitarbeitern war Reuter, der ein gewinnendes Wesen und ein "besonders Händchen" für Kinder nachgesagt wird, in der Bahnhofsmission im Einsatz. "Am Anfang haben wir noch Suppe ausgegeben, und viele Nichtsesshafte kamen in die Bahnhofsmission", erinnert sich Reuter an den Beginn ihrer Arbeit 1984. Dann gab es für diese Menschen neue Angebote in der Stadt, und eine neue Klientel kam zur Bahnhofsmission. "1989 standen die ersten Aussiedler am Bahnsteig", erzählt Reuter. Noch heute sieht sie eine dieser Frauen vor sich: "Sie trug eine Kittelschürze und umklammerte die ganze Zeit fest den Stiel ihres Besens, an dem noch Stroh hing", sagt Reuter. Viele der Menschen mussten von heute auf morgen ihre Heimat im Kaukasus verlassen. Aufgabe von Reuter war es in diesen Jahren, Aussiedler und Asylbewerber zu betreuen und an andere soziale Einrichtungen in Trier weiter zu vermitteln. "Einmal wurde ich in den Zug gerufen, wo eine Frau saß, die von ihrem Mann geschlagen wurde." Erst als Reuter zu der Frau in den Zug ging und mit ihr redete, fasste sie Vertrauen und stieg aus dem Zug. Hinter diesen harten Lebensrealitäten seien heute die vielen schönen Begegnungen fast ein wenig verblasst, sagt Reuter. Manchmal habe sie schon daran gedacht, über die Menschen und ihre schwierigen Geschichten, die sie in der Bahnhofsmission erlebt hat, ein Buch zu schreiben. Die Bahnhofsmission schätzen gelernt haben auch Schüler, die auf ihren Zug zurück nach Hause warteten und dort ihre Hausaufgaben machten, spielten oder Bücher lasen. Mit 60 Jahren geht Reuter nun in den Ruhestand. Das Loslassen von der Bahnhofsmission fiel ihr zuerst sehr schwer. Dass die Bahnhofsmission, eine der ältesten Einrichtungen der Caritas, nach ihrem Weggang nicht ganz geschlossen wird, dafür setzte sie sich noch vehement ein. Jedoch wird die Bahnhofsmission an Gleis 11 Nord nun nur noch von 13 bis 17 Uhr ein warmes Licht in einen kalten und trüben Tag bringen.

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