"Habt Ihr noch keinen Trend?"

TRIER. Um 21.20 Uhr findet Ulrich Holkenbrinck Zeit für einen Anruf bei der Familie: "Bärchen, gib mir mal bitte die Mama." Ansonsten gehört das Ohr des Kulturdezernenten an diesem Abend der Partei. Er sitzt in der Trierer CDU-Geschäftsstelle und jagt Wahlergebnissen hinterher.

Den Hörer am Ohr sitzt Holkenbrinck kurz vor 20 Uhr hinter dem Schreibtisch und diktiert CDU-Kreisgeschäftsführerin Marianne Strauß Zahlen und Prozente in den Computer. Zwischen einem Wust von Zetteln und einer kalten Wiener Wurst sitzend, umringt von einem halben Dutzend Telefone und Fernbedienungen, verströmt er die Aura eines Börsenmaklers. Ein knappes Dutzend CDU-ler pendelt zwischen Geschäftsstelle und Terrasse hin und her, verfolgt im Fernsehen die Hochrechnungen zur Europawahl oder versorgt sich mit Würstchen und Bier. So richtig Stimmung will nicht aufkommen angesichts der Verluste der Trierer CDU. "Das ist ja furchtbar", entfährt es Wirtschaftsdezernentin Christiane Horsch, als sie die Wahlbeteiligung erfährt, die in Trier für die Europawahl bei etwa 40 Prozent liegt. Holkenbrinck scheint viel zu beschäftigt, um sich über die Zahlen, die er unablässig notiert, ernsthaft Gedanken machen zu können. Auch als der frühere Ministerpräsident Carl-Ludwig Wagner sich nach dem Ergebnis der Landtagswahlen in Thüringen erkundigt, hält er im Telefonieren nur kurz inne. Etwas mehr Aufmerksamkeit widmet er Horst Langes, der ihn in eine Diskussion um die Höhe der CDU-Verluste verwickeln kann. Mittlerweile ist es kurz vor 21 Uhr, und das Duo am Schreibtisch kann ein erstes Zwischenergebnis verkünden: Neun der 19 Ortsvorsteher stellt die CDU künftig, zudem ist sie in fünf Stichwahlen vertreten. Berti Adams scheint von alldem kaum Notiz zu nehmen. Nervös dreht er auf der Terrasse seine Runden, ungeduldig an einer Zigarette ziehend. Adams ist seit einigen Monaten Vorsitzender der CDU-Stadtratsfraktion und deren Spitzenkandidat. "Habt Ihr noch gar keinen Trend gekriegt?" Doch er erntet nur kollektives Kopfschütteln."Der Berti hat so was Versorgendes"

Dann, um 21 Uhr, hat Holkenbrinck erste Ergebnisse aus dem Rathaus am Ohr. Hochgerechnet würde sich das Europa-Ergebnis der CDU auch für den Stadtrat bestätigen. "Das ist aber alles noch wenig aussagekräftig", sagt Holkenbrinck und winkt ab. Enttäuscht fingert Adams nach seinen Zigaretten. "Berti, das wird schon, Du bist ja der Frauenliebling", sagt Horsch. Und zum Schreibtisch-Duo gewandt fügt sie hinzu: "Der Berti hat so was Versorgendes." Für einen Moment vergisst Adams seine Nervosität und stimmt in das allgemeine Gelächter ein. Doch dann flieht der Metzgermeister wieder auf die Terrasse. Gegen 21.30 Uhr wagen sich die Protagonisten in der Geschäftsstelle an erste Bilanzen. Holkenbrinck findet es "traurig, dass die Wahlbeteiligung so gering gewesen ist". Die Verluste der CDU lägen im Landes- und Bundestrend, erfreulich sei hingegen das Ergebnis der Ortsvorsteher. Horsch ist ihr Erschrecken über die Wahlbeteiligung noch immer anzumerken: "Da mag man sich gar nicht richtig freuen", sagt sie und verweist auf den Vorteil für kleinere Parteien, wenn weniger Menschen von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. Auch Adams erklärt sich die Verluste seiner Partei ähnlich und findet, dass die Wahl "eigentlich noch ganz gut ausgegangen" sei. Er scheint sich gerade damit abzufinden, dass er an diesem Abend nichts genaues mehr über sein Abschneiden bei der Stadtratswahl erfahren wird, als eine Hochrechnung für Trier über den Bildschirm flimmert, die die CDU bei 48 Prozent sieht. "Wenn die Zahlen stimmen, ist das ein Wahnsinns-Erfolg", sagt Adams und strahlt. Spätere Prognosen werden die CDU in Trier bei 40 Prozent sehen. Holkenbrinck notiert sie alle eifrig auf seinen Zetteln. Etliche Telefonate später wird er nach Hause fahren. Zu seiner Familie.

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